Es lässt sich nicht wegdiskutieren: Wir haben
einen Fachkäftemangel. Das zeigt eine Stu-
die, die wir jährlich durchführen und an
der sich 350 bis 400 Immobilienunterneh-
men beteiligen. Besonders dramatisch ist
dieser Mangel im Bereich der technischen
Fach- und Führungskräfte. In angrenzenden
Branchen sieht es nicht besser aus. Jedes
TGA-Büro klagt über Personalmangel, und
frischgebackene Architekten mit Bachelor-
Abschluss, die früher fünf Jahre lang für ein 5-€-Praktikumssalär sich
hätten andienen müssen, bekommen jetzt sofort einen unbefristeten
Arbeitsvertrag. Wenn ich mir dann noch die Altersstruktur in den Bauge-
nehmigungsbehörden anschaue, dann wird sich die Situation in den nächs-
ten fünf Jahren weiter verschärfen. Etwas entspannter ist die Situation im
kaufmännischen Bereich, wobei es in den Regionen sehr unterschiedlich
aussieht. Die wichtigen Herausforderungen, z.B. deutlich mehr Neubau,
bezahlbares Wohnen, können auch am Fachkräftemangel scheitern.
Es gibt weniger junge Leute, die wir ausbilden können, und um diese jungen
Leute tobt ein heftiger Wettbewerb. In den letzten Jahren haben wir davon
profitiert, dass die Banken und Versicherungen zu kämpfen hatten, sodass
sich mehr Bewerber in Richtung Immobilienwirtschaft orientiert haben.
Wir sollten uns aber die Frage stellen, ob wir immer die richtigen Menschen
rekrutieren. Es ist eine Frage des Mindsets. Sind Abiturienten mit einem
hohen Sicherheitsbedürfnis immer die richtigen? Gehen die mutigeren
jungen Leute vielleicht andere Wege? Deshalb müssen wir überlegen, ob
wir über zusätzliche Kanäle und andere Angebote die mutigen, kreativen
jungen Leute für unsere Branche gewinnen können.
Bei den jungen Leuten zeigt sich außerdem in zweifacher Hinsicht ein Wer-
tewandel. Sie wollen alle in die Ballungsräume, obwohl es im ländlichen
Raum vermutlich längst mehr offene Stellen gibt als in den Hotspots. Hinzu
kommt, dass die jungen Mitarbeiter oft völlig unpolitisch sind. Das ist
deshalb ein Problem, weil unsere Unternehmen im kommunalpolitischen
Raum agieren. Manchmal frage ich mich, ob die angehenden Immobilien-
kaufleute überhaupt wissen, dass ein Oberbürgermeister in einer Kommu-
nalwahl gewählt wird. Bei Facebook steht das ja nicht.
Klaus Leuchtmann, Vorstandsvorsitzender, Europäisches Bildungszentrum der
Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (EBZ), Bochum
Wir müssen uns dem Wertewandel stellen
Ich habe das große Glück, in Würzburg unter
Rahmenbedingungen arbeiten zu dürfen,
die ich jedem Kollegen nur wünschen kann.
In Bayern habenwir insbesondere imBereich
der sozialen Wohnraumförderung sehr
attraktive Rahmenbedingungen. Außerdem
haben wir schon vor etwa zehn Jahren mit
dem Wohnungsneubau begonnen, sodass
wir nicht unter dem gewaltigen politischen
Druck stehen wie andere Städte und Woh-
nungsgesellschaften: Ausgerechnet in einer Zeit, wo die Bauwirtschaft an
die Grenze ihrer Kapazitäten gerät, plötzlich große Bauprogramme aufle-
gen zu müssen. Außerdem arbeiten wir in einem kommunalpolitisch sta-
bilen Umfeld. Wir haben keinerlei wohnungspolitischen Dissens unter den
unterschiedlichen politischen Farben in der Stadt.
Unsere Branche hat sich in den letzten 20 Jahren genau wie die Gesell-
schaft enorm differenziert und heterogenisiert. Es gibt unterschiedliche
Rechtsformen, Eigentümerstrukturen und Unternehmensgrößen, und
die Markt- und Rahmenbedingungen sind regional ganz unterschiedlich.
Dennoch gibt es für alle Immobilienunternehmen eine gemeinsame Her-
ausforderung, nämlich die digitale Transformation. Sie betrifft die kleine
Genossenschaft mit 300 Wohnungen genauso wie den großen Immobilien-
konzern mit 200.000 Wohnungen.
Unser Aufsichtsrat hat schon 2011 das Ziel formuliert, dass die Stadtbau
Innovator beim Planen, Bauen und Bewirtschaften sein soll. Im Ergeb-
nis unserer Aktivitäten wurden wir 2017 als einer der Innovationsführer
des deutschen Mittelstandes ausgezeichnet. Das zeigt, dass wir in ver-
schiedenen Bereichen, ob bei der Onlinekommunikation oder beim Ver-
mietungsprozess, ziemlich weit vorne unterwegs sind. Deshalb haben
wir beschlossen, das Jahr 2019 zum strategischen Innehalten zu nutzen.
Wir wollen auswerten, was die ersten sieben Jahre der digitalen Trans-
formation für uns als Unternehmen bedeuten und wohin wir weitergehen
werden. Sicher ist: Die digitale Transformation wird für uns zukünftig ein
eigenes strategisches Feld werden. Wir werden also nicht mehr nur Einzel-
projekte wie Mieter-App oder Chatbot vorantreiben, sondern das Thema
strategisch behandeln, in Organisation und Struktur verorten und so die
Dauerhaftigkeit dieser Herausforderung absichern.
Aufbauen können wir dabei auf einem sehr erfolgreichen Veränderungs-
prozess im Unternehmen, den wir vor zwölf Jahren gemeinsam mit den
Mitarbeitern umgesetzt haben. Die Mitarbeiter haben deshalb keine Angst
vor Veränderung. Das ist natürlich ein großer Vorteil.
Wir haben aber festgestellt, dass wir trotz – oder vielleicht sogar gerade
wegen – der digitalen Transformation auch eine Strategie für die künftige
analoge Welt brauchen – vielleicht sogar mehr als früher. Denn bei jedem
digitalen Prozess, den wir eingeführt haben, steht am Anfang und am
Schluss doch immer der Mensch. Wir merken das z.B. daran, dass unsere
Gemeinschaftsräume eine Renaissance erleben. Dabei wird die analoge
Begegnung digital organisiert: Unsere Mieter verabreden sich über eine
Nachbarschaftsplattform und treffen sich dann im Mietergemeinschafts-
raum. Und was machen sie dann? Sie falten Origami oder machen Qigong.
Das zeugt von einem wachsenden Bewusstsein, dass das Smartphone viel-
leicht doch nicht alles ist.
Aber auch bei allen unseren anderen Kundenkontakten im Vermieteralltag
wollen wir das digitale und das analoge Element gezielt einsetzen.
Hans Sartoris, Geschäftsführer, Stadtbau Würzburg GmbH, Würzburg
Digitale Transformation als gemeinsame Herausforderung
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4|2019
MARKT UND MANAGEMENT