Die Wohnungswirtschaft 12/2018 - page 20

sind. Viele Leute haben sich von der Erkenntnis
verabschiedet, dass sie arbeiten gehen müssen,
wenn sie eine Wohnung haben möchten. Und sie
wollen nicht wahrhaben, dass derjenige, der in
einer friedlichen Nachbarschaft leben möchte,
sich selbst entsprechend verhalten muss. Des-
halb brauchenwir eine Diskussion über Tugenden.
Snezana Michaelis:
Und wir brauchen eine Dis-
kussion darüber, welche Leistungen die öffentli-
che Hand in den Quartieren erbringen muss und
welche die Wohnungswirtschaft. Ich möchte das
an einem Beispiel verdeutlichen. Wir haben in
Berlin ja Mieterräte, welche die Aufgabe haben,
die Interessen der Mieter gegenüber den landes-
eigenen Unternehmen zu vertreten. Nun ist vor
Kurzem ein Mieterrat auf mich zugekommen und
hat mich auf den Teich in einem unserer Wohn-
gebiete angesprochen. Dieser Teich wird schon
seit Jahren von Mietern ehrenamtlich gepflegt.
Sie sammeln auch Spenden für Fische, Pflanzen
und Futter. Nun fällt es diesen engagierten Mie-
tern zunehmend schwer, das nötige Geld dafür
zusammenzukriegen. Der Mieterrat wollte deshalb
wissen, ob die Gewobag da nicht helfen könne.
Das habe ich abgelehnt – nicht wegen der Kosten,
die sind relativ überschaubar, sondern aus grund-
sätzlichen Überlegungen. Denn der Park, in dem
sich der Teich befindet, gehört der öffentlichen
Hand. Der Bezirk unterlässt es aber seit Jahren,
sich darumzu kümmern. Zeitweise dachte er sogar
darüber nach, diesen Teich zuzuschütten, damit
er nicht für den Unterhalt aufkommen muss. Das
ist amWiderstand der Anwohner gescheitert. Ich
weigere mich aber, es dem Bezirk an dieser Stelle
zu einfach zu machen und zu akzeptieren, dass er
seinen hoheitlichen Aufgaben nicht nachkommt.
Das wäre schlicht ein falsches Signal.
Maren Kern:
Es ist sicher legitim, die Frage auf-
zuwerfen, ob es richtig ist, staatliche Aufgaben
den Wohnungsunternehmen zu übertragen. Ich
bin aber zu der Überzeugung gelangt, dass es
durchaus gut ist, wenn man sie bei den Woh-
nungsunternehmen belässt, vorausgesetzt, diese
Aufgaben sind vomUmfang her zu bewältigen, die
Unternehmen bekommen dafür Anerkennung und
sie haben mit Stadtentwicklung zu tun. Natürlich
muss dieses Engagement auch Grenzen haben –
nämlich immer dort, wo es inhaltlich keinen Sinn
macht oder wo es wirtschaftlich überfordert.
SnezanaMichaelis:
DieMieterräte sehenwir auch
als Instrument, um das ehrenamtliche Engage-
ment nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu
befördern. Allerdings stellen wir fest, dass die
Bereitschaft der Mieter, sich über einen länge-
ren Zeitraum einer solchen Aufgabe engagiert zu
widmen, tendenziell abnimmt. Das hängt damit
zusammen, dass sich die Struktur in den Quar-
tieren in den letzten Jahren teilweise deutlich
verändert hat. Das ist unserer Einschätzung nach
u.a. bedingt durch die Anforderungen, die unser
Gesellschafter in Bezug auf die Belegungspolitik
an uns richtet.
Ingo Malter:
Wenn wir über mögliche Lösungen
des Problems sprechen, so ist für mich die Zusam-
menarbeit mit Kindertagesstätten und anderen
Bildungseinrichtungen sowiemit der Kommunal-
politik sehr wichtig. Wir haben in Neukölln gese-
hen, dass ein Hardliner wie der frühere Bezirksbür-
germeister Heinz Buschkowsky großes Ansehen
genoss. Auch seine Nachfolgerin, die jetzige Bun-
desfamilienministerin Franziska Giffey, hat Dinge
getan, die sich sonst in Berlin kaum jemand traut.
Sie hat z.B. dafür gesorgt, dass auffällige Fami-
lien jeden Morgen Besuch von der Polizei erhal-
ten, um die Kinder zur Schule abzuholen. Solche
Dingemuss man einfachmal umsetzen, und dafür
braucht es ein Netzwerk vor Ort. Als Wohnungs-
wirtschaft können wir dabei mit gutem Beispiel
vorangehen und unsere Grundwerte betonen. Und
die basieren eben darauf, dass man leistungs- und
bildungsbereit ist, dass man Rücksicht nimmt und
dass man – bei allen Unterschieden – im Mitein-
ander denkt.
Dr. Axel Viehweger:
Auch in Leipzig und Dresden
haben wir problematische Wohngebiete. Dabei
rede ich bewusst nicht nur von Ausländern. Wir
haben auch schwierige deutsche Mieter in den
Beständen. Was aber den Umgang mit Flüchtlin-
gen betrifft, so behandeln Genossenschaften alle
gleich. Woher jemand kommt und welche Haut-
farbe er hat, darf keine Rolle spielen. Sicher, bei
der einen oder anderen kleinen Genossenschaft
werden auf der Mit-
gliederversammlung
Bedenken gegenüber
neuen Mitgliedern aus
demAusland geäußert.
Dann muss man diesen
skeptischen Mitglie-
dern erklären, dass es
unsere Aufgabe ist,
auch diesen Menschen
eine Unterkunft zu
bieten.
Allerdings haben Ge-
nossenschaften einen
großen Vorteil gegen-
über den städtischen
Gesellschaften, deren
Belegungspolitik von der Kommune bestimmt
wird: Wir können selber entscheiden, wen wir als
Mitglied aufnehmen und wen nicht. Wir können
also die Familie aufnehmen und die fünf alleinste-
henden jungen Männer ablehnen. Das trägt dazu
bei, dass die Genossenschaftsmitglieder gegen-
über den Neuankömmlingen positiv eingestellt
sind.
Ingo Malter:
Es reicht nicht, wenn wir immer
nur Förderdebatten führen. Geld allein löst die
Probleme nicht. Wir müssen alle zusammen vor
Ort imKleinen anfangen und Nachbarschaft ernst
nehmen, indem wir an Verbesserungen arbeiten.
Wir haben ja Beispiele, die zeigen, wie es gelingen
kann, schwierige Quartiere zu stabilisieren. Daran
solltenwir arbeiten. Denn sonst kommen die Rat-
tenfänger und tun es.
Jürgen Steinert:
Aber ohne Fördermittel sind
wir nicht in der Lage, die Probleme zu lösen oder
zumindest zu mildern. Sicher ist der soziale Woh-
nungsbau nicht mehr die einzige Stellschraube,
sondern nur noch eine von vielen. Aber die Politik
darf uns nicht alleine lassen. Dabei setze ich dar-
auf, dass die politischen Parteien bereit sind, Woh-
nen nicht als ideologische Frage zu betrachten,
sondern als Grundrecht, auf das jeder Anspruch
hat und nicht nur die Klientel einer bestimmten
Partei oder einer bestimmten Ideologie.
Eine letzte Bemerkung: Auchwenn die Überforde-
rung der Nachbarschaften eine gesellschaftliche
Herausforderung und eine Aufgabe der Politik ist,
bleiben amEnde auch dieWohnungsunternehmen
gefragt. Jeder einzelne von Ihnenmuss dafür sor-
gen, dass die Mieterschaft so zusammengesetzt
ist, dass das Unternehmen beherrschbar und das
soziale Gefüge intakt bleibt.
Damit bedanke ich mich ganz herzlich für Ihre
Teilnahme an der Diskussion.
STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
18
12|2018
1...,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19 21,22,23,24,25,26,27,28,29,30,...76
Powered by FlippingBook