Die Wohnungswirtschaft 12/2018 - page 13

wiesen waren und jetzt fürchten, dass ihnen eine
andere Gruppe etwas wegnimmt. Dafür gibt es
zwar keinen einzigen Beleg, aber Emotionen sind
ja nichts Rationales.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen
müssen wir als Wohnungsunternehmen tätig
werden. Dabei sind unsere Mitarbeiter der beste
Indikator, weil sie tagtäglich in den Quartieren
zu tun haben. Darüber hinaus bedienen wir uns
auch der Zahlen des Senats zu den lebenswelt-
lich orientierten Räumen, die z.B. Einkommens-
verhältnisse, Haushaltsgrößen und Herkunft
erfassen. Mithilfe dieser Daten haben wir unsere
großen Quartiere in Präventions- bzw. Inter-
ventionsstufen eingeteilt. Auf dieser Grundlage
bewerten wir, welche Eingriffe – investiver Art
oder solche, die an sozialen Aktivitäten orien-
tiert sind – einen Beitrag dazu leisten, um ein
Quartier stabil zu halten bzw. positiv zu entwi-
ckeln. Den Rahmen setzt aber die Politik. Wenn
diese die geschilderten Entwicklungen nicht
antizipiert und rechtzeitig handelt, dann werden
wir als Wohnungsgesellschaft schnell an unsere
Grenzen stoßen.
Wir sprechen hier
über ein Thema
von gesamtge-
sellschaftlicher
Dimension. Wenn
wir 20 Jahre nach
der GdW-Studie
zu überforderten
Nachbarschaften
nicht anfangen
dieses dicke Brett zu bohren, dann werden wir
in zehn Jahren über die nächst Studie reden
müssen. Allerdings liegt es nicht an den Woh-
nungen, dass es überforderte Nachbarschaften
gibt. Unsere Wohnungen sind nicht mehr so, wie
sie einst Heinrich Zille beschrieben hat, son-
dern weisen eine gute Qualität auf. Eigentlich
müssten sich deshalb andere Leute über dieses
Thema unterhalten und nicht wir Wohnungs-
wirtschaftler.
Aber natürlich sind es unsere Mieter und Mit-
glieder, weshalb wir uns dem Thema eben doch
stellen. Wir sind in den Quartieren aktiv und
kümmern uns um die sozialen Belange, ange-
fangen von Krankheit bis hin zum Miteinander
von Menschen mit und ohne Migrationshinter-
grund. Wir wissen aber auch, wie teuer das ist.
Momentan übernehmen wir diese Kosten, weil
sich der Staat komplett raushält. Zumindest in
Sachsen kümmert sich der Staat überhaupt nicht
um die Daseinsfürsorge, das muss man so deut-
lich sagen. Die Kommunen erklären einfach, sie
hätten dafür kein Geld.
Wenn das Problem aber nicht die Wohnung ist,
woran liegt es dann? Es liegt an der fehlenden
Bildung, an Armut und an Arbeitslosigkeit oder
an der Weigerung, eine Arbeit aufzunehmen.
Nachbarschaft hat etwas zu tun mit Miteinan-
der, Freiwilligkeit und Ehrenamt. Wenn sich aber
jeder selbst der Nächste ist und bei seinen Eltern
nie gelernt hat, was Miteinander bedeutet, kann
sich keine Nachbarschaft bilden.
Ich möchte ein Beispiel dafür nennen: Wenn man
früher umgezogen ist, hat man vorher im Haus
einen Zettel ausgehängt und um Entschuldigung
für die damit verbundenen Umtriebe gebeten.
Und nach dem Umzug hat man bei den neuen
Nachbarn geklingelt und sich vorgestellt. Das
macht heute kaum noch jemand. Viele wissen
gar nicht, dass man das macht, weil es ihnen ihre
Eltern nicht beigebracht haben. Als weiteres Pro-
blem kommt die Gewaltverherrlichung in unse-
rer Gesellschaft hinzu. Überall gibt es Gewalt,
im Fernsehen, im Internet. Und dann wird auch
noch vermittelt, diese Gewalt sei vollkommen
normal. Das führt zu Respektlosigkeit gegenüber
Polizisten und Sanitätern, aber auch gegenüber
Mitarbeitern von Wohnungsgenossenschaften
und Wohnungsbaugesellschaften.
Deshalb müssen wir über Werte reden. Ich
verwende dafür ein Bild: Wir sind ein offenes
Haus, aber wir haben eine Hausordnung. Diese
Hausordnung gilt für jeden, und wir müssen
uns darum kümmern, dass diese Hausordnung
durchgesetzt wird. Bei einer kleinen Genossen-
schaft ist das problemlos möglich. Aber in einem
Wohngebiet mit 30.000 Menschen kann das ein
Vermieter allein nicht erreichen. Dort brauchen
wir viele Helfer, die aber von der öffentlichen
Hand bezahlt werden müssen. Die öffentliche
Hand sollte die Rechnung aufmachen, wie hoch
die Folgekosten überforderter Nachbarschaften
sind, und besser rechtzeitig Geld einsetzen, um
diese Menschen zu betreuen.
Dr. Axel Viehweger, Vorstand,
Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften e.V., Dresden
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