Wenn man im politischen Berlin von über-
forderten Nachbarschaften spricht, merkt
man schnell, dass viele dieses Problem nicht
wahrnehmen wollen. Dabei ist das Prob-
lem durchaus vorhanden. Das zeigt eine
Schnellbefragung der Gremien, die der GdW
2017 durchgeführt hat und an der sich 185
Unternehmenslenker beteiligt haben. 56%
antworteten, dass sich das nachbarschaft-
liche Miteinander in den letzten fünf Jahren
verschlechtert habe. 26% erklärten, die Aggressivität im Quartier nehme
zu, und sogar 42% stellten eine wachsende Aggressivität gegenüber den
Mitarbeitern fest. Ähnliches berichten ja auch Feuerwehrleute und Sanitä-
ter. In den Schulen, das belegt eine aktuelle Untersuchung, hat verbale und
körperliche Gewalt gegen Lehrer ebenfalls zugenommen.
Wir müssen uns deshalb fragen, welches die Gründe für diese Entwick-
lung sind. Häufig wird an dieser Stelle die gestiegene Zuwanderungszahl
genannt.
Insgesamt sind in den letzten fünf Jahren etwa 5 Mio. Menschen zugewan-
dert. Zur Klarstellung: Das entspricht nicht der Nettozuwanderung, da
ja auch zahlreiche Menschen aus Deutschland weggezogen sind. Aber es
beschreibt die wahre Größe der Herausforderung beim Thema Integration.
Bei einem Teil des Zuzugs handelt es sich um Armutszuwanderung. Rein
statistisch gesehen und auf die ganze Bundesrepublik umgelegt, ist das
kein Problem. Die Statistik hilft uns aber nicht weiter, da bestimmte Städte
von dieser Armutszuwanderung besonders stark betroffen sind.
Insgesamt hat die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen mit Mi-
grationshintergrund innerhalb von zehn Jahren um 5 Mio. zugenommen,
sodass sie jetzt 19,3 Mio. beträgt. Dabei ist der Anteil der Menschen mit
Migrationshintergrund in den alten Bundesländern sehr viel höher als in
Ostdeutschland. Trotzdem gibt es auch in Ostdeutschland Probleme. Die
Hauptursache dafür hat eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie des Wis-
senschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) benannt: Die soziale
Segregation in vielen Städten Ostdeutschlands hat massiv zugenommen.
Das hängt damit zusammen, dass sozial schwache Haushalte aus Kosten-
gründen von den Städten in den kommunalen Beständen und dort in den
günstigsten Wohnungen untergebracht werden. Und diese konzentrieren
sich wiederum in bestimmten Stadtteilen. Wir beobachten also die Neu-
auflage einer verfehlten Belegungspolitik. Mit klaren Konsequenzen für
diese Stadtteile.
Wir müssen aber auch über die Verfestigung von Hartz-IV-Strukturen
reden, über Wohlstandsverwahrlosung durch Erziehungsmängel und über
fehlende Werteorientierung. Diese Probleme spiegeln sich in unseren Quar-
tieren wider. Wir können diese gesellschaftlichen Probleme nicht alleine
lösen, aber wir müssen ein Teil der Lösung sein. Die Wohnungswirtschaft
leistet umfangreiche soziale Arbeit. Sie braucht aber eine dauerhafte
Unterstützung in den Quartieren und geeignete politische Maßnahmen.
Das Programm „Soziale Stadt” alleine reicht bei Weitem dafür nicht aus.
Was nötig ist, ist ein bundesweit in den Quartieren wirkendes Integrati-
onsprogramm. Darüber hinaus stellen z.B. Wohnsitzauflagen eine Mög-
lichkeit dar, eine räumliche Ballung sozialer Probleme zu verhindern. Auch
beim System der Kosten der Unterkunft (KdU) muss man ansetzen. Häufig
agieren die Städte und Landkreise nach dem Prinzip, dass die Unterkunft
möglichst billig sein soll. In der Folge konzentrieren sich Haushalte, die
KdU beziehen, in bestimmten Wohnvierteln. Das spart zwar kurzfristig
Geld, verursacht auf lange Sicht aber enorm hohe gesellschaftliche Kosten.
Axel Gedaschko, Präsident, GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V., Berlin
Wir brauchen dauerhafte Unterstützung in den Quartieren
Ich spreche hier aus der Perspektive eines
kommunalen Wohnungsunternehmens in
Berlin. Als große landeseigene Wohnungs-
gesellschaft verfügen wir über eine Vielzahl
von Quartieren, in denen wir der einzige
Vermieter sind. Quartiersentwicklung ist
deshalb für uns ein wichtiges Thema.
Welche Möglichkeiten und Grenzen haben
wir als Wohnungsunternehmen? Ich fange
mit den Grenzen an. Wir unterliegen politi-
schen Vorgaben, weil das Land Berlin seine Wohnungsbaugesellschaften
als Instrument der Wohnungsfürsorge einsetzt. Bei der Wiedervermietung
müssen wir 60% aller Wohnungen an WBS-Berechtigte vermieten. Dabei
kommt es zu einer Konkurrenzsituation zwischen denjenigen, die schon län-
ger in der Stadt wohnen, und denjenigen, die in den letzten Jahren z.B. als
Flüchtlinge zugezogen sind. Aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit
achten wir sehr darauf, eine einseitige Belegungspolitik zu vermeiden. Denn
wir wissen, was es bedeuten würde, wenn wir alle unsere frei werdenden
Wohnungen mit den sog. benachteiligten Bevölkerungsgruppen belegen
würden. Die Sozialstruktur in den Quartieren, in denen wir der einzige Ver-
mieter sind, würde kippen. Allerdings bedarf es einer ständigen Kommuni-
kation, um der Öffentlichkeit und der Politik zu vermitteln, dass wir uns bei
der Belegung die langfristigen Auswirkungen überlegen müssen.
Für mich hat das Thema eine eigene Bedeutung, weil ich selber einen
Migrationshintergrund habe. Meine Eltern sind als Gastarbeiter nach
Deutschland gekommen. Wenn ich auf den Erfahrungshorizont meiner
Eltern blicke, wird erlebbar, warum die Migranten der ersten und zweiten
Generation in Teilen ein größeres Problemmit der Zuwanderung der letzten
Jahre haben als die deutsche Bevölkerung. Sie sagen: Uns hat man nichts
geschenkt, sondern wir haben uns alles erarbeitet. Die Geflüchteten aber
bekommen Sprachkurse, eine Unterkunft usw. Ich entgegne dann meinen
Eltern, dass sie damals aus freien Stücken hierherkamen und einen Arbeits-
platz hatten, während die Neuankömmlinge heute vor Krieg und Verfolgung
fliehen und nicht arbeiten dürfen. Diese gesellschaftliche Diskussion wird
meines Erachtens völlig unterschätzt. Was man ebenfalls außer Acht lässt,
ist die gefühlte Bedrohung derjenigen, die bisher auf Sozialleistungen ange-
Snezana Michaelis, Vorstand, Gewobag Wohnungsbau-Aktiengesellschaft, Berlin
Die Politik muss rechtzeitig handeln
STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
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12|2018