Die Wohnungswirtschaft 12/2018 - page 18

Ich möchte noch einen zweiten Punkt in Erinne-
rung rufen. Die überforderten Nachbarschaften
in den 1990er Jahren hatten im Wesentlichen
zwei Ursachen: die Belegungspolitik durch die
Kommunen sowie den Umstand, dass der sozi-
ale Wohnungsbau aus Mangel an finanziellen
Mitteln abgebaut wurde. Ursprünglich hatten in
der alten Bundesrepublik nicht weniger als 70%
der Bevölkerung Zugang zu Sozialwohnungen.
Dahinter steckte die Philosophie, auf diese Wei-
se Problemgruppen am besten in den Quartieren
integrieren zu können.
Die Belegungspolitik ist auch heute entscheidend.
Denn befriedete Nachbarschaften bekommenwir
nur über gemischte Belegungsstrukturen. Darauf
hat vor einigen Jahren ein Kollege aus Österreich
hingewiesen, wo dieWohnungsgemeinnützigkeit
ja imGegensatz zu Deutschland nicht abgeschafft
worden ist. Er hat uns erklärt, dass in Wien ein
ungeschriebenes Gesetz existiert, wonach in ei-
nem Quartier nicht mehr als 25% Problemgrup-
pen untergebracht werden sollten. Dadurch sind
die Wiener Unternehmen in der Lage, eine gute
Nachbarschaft zu gewährleisten und eine Über-
forderung in den Quartieren zu verhindern.
Ich betone das, weil wir in Deutschland wohl nie
wieder die Chance erhalten werden, in unseren
Beständen des sozialen Wohnungsbaus den An-
teil der Problemgruppen auf 25% zu begrenzen.
Und deswegen hat Herr Malter recht, wenn er die
grundsätzliche Frage aufwirft, ob die Objektförde-
rung des alten sozialen Wohnungsbaus noch Sinn
ergibt. Aber ich fürchte, der Zug ist abgefahren.
Dr. Axel Viehweger:
Ist der Zug wirklich abge-
fahren? Ich finde die Erweiterung der Subjekt-
förderung in Richtung Wohngeld richtig. Gerade
im Osten haben wir nach der Wende mit dem
Wohngeld exzellente Erfahrungen gemacht. Das
Wohngeld hat unglaublich viele soziale Probleme
weggebügelt und bietet die Chance, hilfsbedürfti-
ge Bevölkerungsgruppen dezentral unterzubrin-
gen. Deshalb bin ich sehr dafür, diese Diskussion
wieder aufzunehmen.
Jürgen Steinert:
Leider ist aber das Volumen des
Wohngelds über die Jahrzehnte massiv abgebaut
worden. Ich fürchte außerdem, dass ein System,
bei demein bisschenmehr Geld in die Objektförde-
rung und ein bisschenmehr Geld in die Subjektför-
derung fließt, uns amEnde auch keine befriedeten
Nachbarschaften bringen wird. Diese bekommen
wir nur über gemischte Belegungsstrukturen.
Axel Gedaschko:
Was die Förderpolitik angeht,
ist der Zug ganz sicher nicht abgefahren. Ganz be-
wusst haben wir eine Mischung aus Subjekt- und
Objektförderung. In den ostdeutschen Ländern
beispielsweisemacht die sozialeWohnraumförde-
rung für den Neubau i. d. R. keinen Sinn, weil diese
Wohnungen immer viel teurer wären als die vielen
preiswerten Bestandswohnungen. Fast überall im
Osten steht genügend Wohnraum zur Verfügung.
Eine Förderung wird in diesen ausgeglichenen
Märkten allerdings sehr dringend für die Begren-
zung von Modernisierungskosten benötigt.
In Mangelgebieten hingegen ist das Instrument
der sozialenWohnraumförderung für den Neubau
durchaus sinnvoll. Allerdings gehen die Bundes-
länder damit sehr unterschiedlich um. Manche
Länder wie Schleswig-Holstein, Bayern, Nord-
rhein-Westfalen und Hamburg machen das sehr
clever, kommen zu einer ausgewogenenMischung
in den Beständen, während andere Länder wie z.B.
Berlin genau dies nicht ganz so clever machen.
Hier werden alte Fehler gerade als neue Politik
verkauft. Sinnvoll ist insbesondere die Förderung
durchmittelbare Belegung. Sie bietet dieMöglich-
keit, sehr feinkörnig zu steuern.
Lars Ernst:
Sieht man denn eigentlich bei grö-
ßeren Neubaumaßnahmen, bei denen eine Be-
legungsvorgabe von 50% gegeben ist, dass dort
quasi mit demEinzug eine instabile Nachbarschaft
vorhanden ist?
Snezana Michaelis:
Nun, die Regelung, wonach
wir in Berlin 50% der Neubauwohnungen anWBS-
Berechtigte zu vergeben haben, ist noch relativ
neu und gilt erst für Projekte, bei denen der Bau-
beginn nach dem1. Juli 2017 erfolgt ist. Deshalb
verfügen wir noch über keine Erfahrungswerte.
Allerdings wird in der politischen Diskussion im-
mer wieder darauf hingewiesen, dass über 50%
aller Berliner Anspruch auf einen WBS haben.
WBS-Berechtigte sind nicht automatisch prob-
lematische Mieter. Trotzdem achten wir auch in
unseren Bestandsquartieren auf eine Belegungs-
mischung. Frau Kern hat den Fall des Märkischen
Viertels erwähnt, bei dem eine Ausnahme von der
Kooperationsvereinbarung gilt. Wir haben eben-
falls zwei Quartiere signifikanter Größe, bei denen
wir statt 60 nur 40% der Wohnungen an WBS-
Berechtigte wieder vermieten dürfen. Der Grund
dafür liegt darin, dass wir anhand von Daten des
sozialen Monitorings nachweisen konnten, dass
die Sozialstruktur in diesen Quartieren aktuell
sehr schwach ist.
Jürgen Steinert:
Ich gebe zu: Wenn ich über das
Gesagte nachdenke, komme ich zumSchluss, dass
ich mich mit der Bemerkung, der Zug in Sachen
Subjektförderung sei abgefahren, verstiegen
habe. Aber noch einmal zur Objektförderung: Hier
stellt sich ja die Frage, ob der Bund auch in Zukunft
ermächtigt ist, die sozialeWohnraumförderung zu
finanzieren, für die seit der Grundgesetzänderung
von 2006 die Länder zuständig sind. Wenn sich der
Bund künftig nicht mehr engagieren sollte, wird
es ganz bitter für diejenigen Länder, die nicht zu
den reichen gehören.
Axel Gedaschko:
Der Entwurf für die Verfas-
sungsänderung zur sozialenWohnraumförderung
liegt auf dem Tisch. Allerdings ist das Thema hei-
kel, weil die Länder es grundsätzlich nicht so toll
finden, wenn sich der Bund einmischt. Außerdem
darf das Bundesgeld nicht allein Neubauzwecken
dienen, sondern muss auch für die Förderung
gesamtgesellschaftlich notwendiger Moderni-
sierungen offen sein. Ich habe aber schon darauf
hingewiesen, dass der Osten keine mit wahnsin-
nig viel staatlichemGeld gefördertenWohnungen
Ingo Malter
Snezana Michaelis
Jürgen Steinert
STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
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