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6|2018
Klimaschutz
Kein Königsweg in Sicht
Wie sich die Zeiten und Einschätzungen ändern, kann man am Thema Klimaschutz ablesen.
Es wird immer deutlicher, dass viele Wege zum Klimaschutz führen, dass es „das eine Konzept”
nicht gibt. Und es wird klar: Ohne Monitoring wird es nicht weitergehen.
Einschätzungen ändern sich, auch imKlimaschutz.
Strom zum Heizen z. B. heißt heute Sektorkopp-
lung, war aber vor 25 Jahren eine Umweltschwei-
nerei und vor 50 Jahren Luftreinhaltung in den
Städten. Erneuerbare Energienwaren vor 25 Jah-
ren noch unendlich und kostenlos, derzeit gelten
sie als knapp. Anfangs wurde im Überschwang
verdrängt, dass die Nutzung erneuerbarer Ener-
gien Technik erfordert, die Geld kostet. Heute wird
diskutiert, dass Anlagen zur Nutzung erneuerba-
rer Energien in der Bevölkerung keine Akzeptanz
mehr finden, weswegen z. B. im Gebäudebereich
der Energiebedarf stark sinkenmüsse. Wie immer
sind Übertreibungen eines Aspektes nicht hilf-
reich, ausgewogene Klimaschutzkonzepte müs-
sen individuell Wärmeschutz und lokale Nutzung
erneuerbarer Energien verbinden.
Klimaschutz ist unstrittig
Klimaschutz ist in der Wohnungswirtschaft un-
strittig. Aber: Gebäude werden nicht für den
Klimaschutz gebaut, sondern damit Menschen
darin wohnen. Viel zu lange vernachlässigte die
Politik den sozialen und betriebswirtschaftlichen
Hintergrund. Dabei haben bei den Wohnungsun-
ternehmen alle Investitionen in die Bestände
standardmäßig einen Energieeffizienz- und Kli-
maschutzanteil.
In der Wohnungswirtschaft werden unterschiedli-
che Konzepte verfolgt. Die Einen legen den Fokus
aufmehrWärmeschutz an der Gebäudehülle bis hin
zum Passivhaus inklusive Wärmerückgewinnung.
Die Anderen fokussieren die Energieversorgung
teilsanierter Gebäude und Quartiere mit erneuer-
baren Energien. Sie nutzen z. B. Lagegunst sowie
Bergrechte und planen die Versorgungmit heißem
Thermalwasser oder sie bauen Eis- oder Erdspei-
cher, die solar erwärmtwerden und alsWärmequel-
le für Wärmepumpen dienen. Deren Nutzungsgrad
steigt so erheblich. Dritte setzen auf smarte Tech-
niken, Nutzerunterstützung, perfekte Regelung.
Ist eines der Konzepte das Beste?
Hier hilft der Blick auf einige Forschungsergebnisse:
• Eine Untersuchung der Verbraucherzentralen
von knapp 1.000 Brennwertgeräten zeigte, dass
das Potenzial der Gerätetechnik für Energieein-
sparung oft vertan wird. Der Brennwertnutzen
ist nur bei rund einemDrittel der Geräte ausrei-
chend, bei einemweiterenDrittel optimierungs-
bedürftig, beim letzten Drittel ungenügend.
1
• Verschiedene Projekte vonWohnungsunterneh-
men zeigen, dass über die aktuelle EnEV hinaus
verbesserter Wärmeschutz der Gebäudehül-
le den Energieverbrauch meist nicht adäquat
verringert. Insbesondere Lüftungsanlagen mit
Wärmerückgewinnung führen nicht zu den er-
warteten Einsparungen, verursachen jedoch
zusätzliche Betriebskosten.
2
• Messergebnisse zeigen Jahresarbeitszahlen
von Wärmepumpen für das Gesamtsystem
einschließlich Speicher und Verteilung von
durchschnittlich 2,2 bis 2,5
3
. Ursache dieser
ernüchternden Werte sind Stand-by-Verluste,
höhere Raumtemperaturen und höherer Warm-
wasserverbrauch als in der Auslegung, fehlende
Optimierung der Regelstrategie und die für die
Reinwasserhygiene nötigen hohen Systemtem-
peraturen in Mehrfamilienhäusern.
• Analysen von smarten Techniken zeigen sehr
große Spannweiten: von Mehrverbräuchen bei
Smart-Home-Nutzern (wenn die Technik zur
Komforterhöhung eingesetzt wird) über 0%
Einsparung bis hin zu 30% Einsparung.
4
• Eine Analyse von acht Mehrfamilienhäusern in
Bayern
5
kommt zu dem Schluss, dass Abwei
chungen der Verbräuche von den Bedarfswerten
bei einfacheren Technikkomponenten auffallend
niedriger sind als bei den komplexeren Konzep-
ten.
Was sagen uns die bisherigen Erkenntnisse?
Es gibt offensichtlich keinen Königsweg für den
Klimaschutz. Zu niedrigen Energieverbräuchen
führen sowohl wärmeschutz- als auch technik-
orientierte Projekte. Sie können in der Praxis aber
mehr Energie verbrauchen als geplant. „Wir haben
die Technik“ reicht daher nicht aus, um geplante
Energieeinsparungen und damit Klimaschutzbei-
träge in der Praxis zu erreichen. Vielmehr ist es
entscheidend, jeweils das Gesamtsystem zu opti-
mieren – einschließlich der Warmwasserbereitung,
Speicherung und Verteilung. Maßstab und Mess-
latte für den Erfolg einer Maßnahme ist am Ende
immer der gemessene Verbrauch. Dieser lässt sich
nur durch ein Monitoring belegen. Bei komplexe-
ren Techniksystemen ist ein Anlagenmonitoring
erfahrungsgemäß zur Fehlererkennung und für
die Optimierung unverzichtbar.
Fazit
Jeder Bauherr anspruchsvoller Effizienzkonzepte
muss ein Monitoring des Gesamtsystems mit-
planen und umsetzen. Und die bisherigen Erfah-
rungen mit energieeffizienten Gebäuden müssen
endlich systematisch ausgewertet werden. Der
Bund sollte ein großes Verbundforschungsvor-
haben ins Leben rufen, das die Dos und Don‘ts für
effektiven und effizienten Klimaschutz belastbar
herausarbeitet.
Dr. Ingrid Vogler
Referatsleiterin
Energie, Technik, Normung
GdW, Berlin
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