MARKT UND MANAGEMENT
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4|2017
Zur Genossenschaftsnovelle 2017
Genossenschaftsnovelle – wohin und wozu?
Die Genossenschaftsnovelle vom 19. Mai 2006, welche durch die gebotenen Satzungsänderungen
die Organe der Wohnungsgenossenschaften über lange Zeit beschäftigt hat, liegt kaum mehr als
zehn Jahre zurück. Nichtsdestotrotz zeichnet sich seit einiger Zeit eine erneute Gesetzesänderung ab
und alles deutet darauf hin, als würde diese noch in den wenigen verbleibenden Monaten der
Legislaturperiode ins Werk gesetzt. Eine Einordnung.
Vor der Reform, so scheint es, ist nach der Re-
form. Dabei gründet der Anlass des bereits in der
Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien
angekündigten Reformvorhabens keineswegs in
strukturellen Defiziten der genossenschaftlichen
Unternehmensformund ihrer Leitungsverfassung.
Auslöser des jetzt vorliegenden (Referenten-)
Entwurfs eines Gesetzes „Zur Erleichterung un-
ternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftli-
chem Engagement und zum Bürokratieabbau bei
Genossenschaften“ war vielmehr die zunehmende
Zurückhaltung der Behörden, Dorfläden, Kitas und
ähnlichen Selbsthilfeeinrichtungen den Zugang
zur Rechtsformdes wirtschaftlichen Vereins gem.
§ 22 BGB zu ermöglichen.
Hier drohten durch den bereits am Ende der
letzten Legislaturperiode vorgelegten Entwurf
„zur Einführung einer Kooperationsgesellschaft“
tiefgehende und wenig funktionale Eingriffe in
den Bestand des Genossenschaftsrechts (GenG),
die dem hohen Ansehen der Rechtsform kaum
zuträglich gewesen wären. Der nun gefundene
Lösungsweg, durch eine Änderung des BGB so-
wohl den Belangen der Bürgerinitiativen als auch
denen ihrer Gläubiger Rechnung zu tragen, erweist
sich nicht nur aus Sicht der Betroffenen, sondern
auch aus der Perspektive der Genossenschaften
als durchweg angemessen. Der Fokus der nachfol-
genden – notwendig unvollständigen – Betrach-
tungen richtet sich folglich auf die zu erwartenden
Auswirkungen der Novelle auf Wohnungsgenos-
senschaften.
Die Leitungsverfassung der Genossenschaft
Ein erster, bereits am 31. August 2016 vorge-
legter, Gesetzentwurf des Bundesministeriums
der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) sah
zunächst einenweitreichenden Eingriff in die Lei-
tungsverfassung der Genossenschaft vor. Gem.
§ 27 Abs. 1 Satz 3 GenG konnte die Satzung vor-
sehen, „dass der Vorstand an Weisungen der Ge-
neralversammlung gebunden ist“. Dies bedeutete
im Ergebnis einen Rückfall in den Rechtszustand
vor der Genossenschaftsnovelle 1973. Lag es doch
in der Intention des damaligen Gesetzgebers, den
Vorstand zu stärken, „um die Genossenschaft im
modernenWirtschaftslebenwettbewerbsfähig zu
machen“ und die „anfallenden Entscheidungen
schneller und unkomplizierter zu treffen“. Zwar
setzt die durchgängige Förderorientierung der
Genossenschaft notwendig eine hinreichende
Teilhabe der Mitglieder an der genossenschaftli-
chen Willensbildung voraus, doch darf dies nicht
zulasten ihrer Wettbewerbsfähigkeit gehen. Dem
trägt die nunmehr geänderte Fassung von § 27
Abs. 1 GenG Rechnung. Danach kann bei Genos-
senschaftenmit nicht mehr als 20Mitgliedern die
Satzung vorsehen, dass der Vorstand an Weisun-
gen der Generalversammlung gebunden ist.
Die Organhaftung
DieNovelle überträgt zugleich die bereits seit 2005
im deutschen Aktiengesetz (AktG) verortete Busi-
ness Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) auf
die Genossenschaft. Danach liegt eine haftungs-
begründende Pflichtverletzung „nicht vor, wenn
das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen
Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte,
auf Grundlage angemessener Information zumWoh-
le der Genossenschaft zu handeln“ (§ 34Abs. 1Satz
2GenG). Die Regelung ist eher klarstellender Natur,
da die Rechtsprechung auch bereits bisher die akti-
enrechtliche Regelung auf die Genossenschaft an-
gewandt hat (BerlKomm/Keßler § 34Rn. 20). Durch
dieVerweisung des § 41GenGerstreckt sich dieVor-
schrift zudem auf die Mitglieder des Aufsichtsrats,
soweit diese, wie bei der Bestellung undAnstellung
von Vorstandsmitgliedern oder bei satzungsrecht-
lichen Zustimmungsvorbehalten (§ 28 MusterS),
an unternehmerischen Entscheidungenmitwirken.
Sowohl nach demWortlaut als auch nach Sinn und
Zweck erfasst dieVorschrift nur „unternehmerische
Entscheidungen“, bei denen denOrganmitgliedern
ein Einschätzungsspielraumzugutekommt. Soweit
es die Bindung der Vorstands- und Aufsichtsrats-
mitglieder an Gesetz und Satzung betrifft, findet
die Vorschrift folglich keine Anwendung.
Ein erweitertes Haftungsprivileg findet sich zu-
dem in § 34 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfs: „Wenn ein
Vorstandsmitglied imWesentlichen unentgeltlich
tätig ist, muss dies bei der Beurteilung seiner Sorg-
falt zu seinen Gunsten berücksichtigt werden.“
Damit wendet sich der Gesetzgeber ausdrücklich
Prof. Dr. Jürgen Keßler
Stiftungsprofessur Wohnungs-
genossenschaften und genossen-
schaftliches Prüfungswesen
EBZ Business School
Bochum
Quelle: Gilde heimbau