Die Wohnungswirtschaft 7/2017 - page 23

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titut organisierten Veranstaltung mit dem Titel
„Städtische Dichte: Urbanitätsversprechen oder
Stressfaktor?“ Vielmehr, so zur Nedden, komme
es entscheidend auf die Qualität der Planung an.
Und auch der stellvertretende Difu-Leiter Prof. Dr.
Arno Bunzel gab zu bedenken: „Man muss Dichte
aus der Sicht der Menschen betrachten, die da-
von betroffen sind“ – also z. B. aus der Sicht von
Anwohnern, die durch Nachverdichtungsmaßnah-
men Grünräume in ihrer Nachbarschaft verlieren.
Das neue Urbane Gebiet
Entsprechend kritisch äußerten sich die Difu-
Vetreter über den neuen Gebietstypus des Urba-
nen Gebiets, den der Gesetzgeber in diesem Jahr
beschlossen hat. Das Urbane Gebiet eröffne der
Immobilienwirtschaft hauptsächlich die Chance,
rentable Wohnungen zu bauen, sagte Bunzel,
während zur Nedden von einem„Über-Nacht-Ge-
schenk an Liegenschaftseigentümer“ sprach. Die
Wohnungs- und Immobilienwirtschaft hingegen
begrüßt im Prinzip die Einführung des Urbanen
Gebiets, in demweniger strenge Lärmvorschriften
als im Mischgebiet gelten. Damit soll es möglich
werden, Wohnungen und gewerbliche Nutzungen
enger zu verzahnen. Das entspreche den Wün-
schen der Menschen, sagt Jürgen Michael Schick,
Präsident des Immobilienverbandes Deutschland
(IVD). „Denn vieleMenschen schätzen die Vortei-
le der Infrastruktur einer Stadt in unmittelbarer
Nähe zu ihrer Wohnung.“
Noch weiter geht der Stadtplaner Jürg Sulzer. „Es
wollen viel mehr Menschen in den engen, dicht
bebauten Gründerzeitquartieren wohnen als in
den langweilig wirkenden Zeilenbauten der ver-
gangenen fünfzig Jahre Siedlungsbau“, sagt der
emeritierte Professor an der TUDresden, der jetzt
in Zürich ein Stadtplanungsbüro betreibt. ImRah-
men eines Nationalen Forschungsprogramms zur
„Neuen urbanenQualität“ hat Sulzer in der Schweiz
untersucht, wie sich die städtische Qualität imUm-
land großer Städte verbessern lässt. Dabei, so ein
Ergebnis der Untersuchung, schaffe quantitative
Verdichtung alleine noch keine Qualität. Vielmehr
gelte es, sich an der Vielfalt der Nutzung, dem
Anspruch auf Schönheit von Stadträumen und an
Unterschiedlichkeit zu orientieren.
Sulzer plädiert für die „Stadtwerdung der Agglo-
meration“ und spricht sich gegen die Erschlie-
ßung neuer Wohnungsbauflächen am Stadtrand
aus. „Die Städte und Gemeinden sollten vor allem
versuchen, innerhalb der vorhandenen Agglome-
rationssiedlungen sorgfältig Ergänzungsbauten
einzufügen“, erklärt er. „Auf diesem Weg könnte
jeweils ein Stück Stadt entstehen.“ Ziel ist es nach
Überzeugung Sulzers nicht, „möglichst rasch sehr
viele anonym wirkende Siedlungen zu erstellen.
Weit wichtiger ist es in der heutigen Zeit, iden-
titätsbildende Stadträume zu realisieren, die
von Häusern begrenzt werden.“ Auf diese Weise
entstünden „Stadtquartiere, die über eine hohe
bauliche Dichte und Nutzungsvielfalt verfügen“.
Steigender Druck an den Rändern
Doch genügt das, um Nachfragedruck von den
deutschen Groß- und Universitätsstädten zu neh-
men? „Inwachsenden Städtenwerdenwir umeine
Neuversiegelung nicht herumkommen, wenn wir
nicht katastrophale Verhältnisse auf dem Woh-
nungsmarkt bekommenwollen“, sagteDifu-Leiter
Martin zur Nedden auf der Veranstaltung seines
Instituts. „Ergänzendes Bauen im Bestand und
die Revitalisierung innerstädtischer Grundstücke
allein werden nicht reichen“, hielt auch Dr. Bernd
Hunger, Vorsitzender des Kompetenzzentrums
Großsiedlungen e. V., unlängst an dieser Stelle
fest (DW 4/2017, S. 8). „In den großen Städten
geht es umden Bau ganzer neuer Wohnsiedlungen
und Stadtteile.“ Was die urbane Dichte betrifft, so
vertritt Hunger eine dezidiert andere Ansicht als
Sulzer: „Dichte allein erzeugt mitnichten Urbani-
tät, sondern nachbarschaftliche Probleme. Neue
Wohnsiedlungen und Stadtteile können und sollen
nicht die Funktionsdichte und -mischung innerstäd-
tischer Gründerzeitgebiete erreichen.“
Allerdings spricht sich auch Hunger dafür aus, bei
der Planung neuer Stadtteile auf eine gute sozia-
le Infrastruktur und eine hohe Gestaltqualität zu
achten. Ebenfalls für eine hohe städtebauliche und
architektonische Qualität plädiert Torsten Bölting,
Geschäftsführer der InWIS Forschung & Beratung
GmbH. Es sei gut, dass die Planer heute nicht mehr
„brutalistischeEntwürfe“ vorlegten, sondernklein-
teiliger planten. „Man sollte nicht zehnmal die
gleiche Platte nebeneinanderstellen“, verdeutlicht
Bölting dies „und auch nicht zehnmal die gleiche
Platte, dieman dann anders anstreicht.“ Zudemsei
es wichtig, unterschiedliche Nutzungen vorzuse-
hen.„Wirsollten“,sagtBölting,„Räumeschaffen,so
dass die Menschen sich in ihremQuartier entfalten
können“ – und dazu gehörten auch Treffpunkte,
FreizeitangeboteundvielleichtCo-Working-Spaces.
„Begriff Siedlungsbau streichen“
„Es ist ganz wichtig, dass es in den Quartieren
unterschiedliche Nutzungen gibt“, betont auch
Stadtplaner Jürg Sulzer. „Die Zeit der Funktions-
trennung ist vorbei. Gewerbe bedeutet heute
Auf dem ehemaligen Zollfreilager in Zürich entstand ein neues Quartier mit rund 1.000 Wohneinheiten und
diversen Gewerbeflächen. Trotz erheblicher Dichte strebten die Planer eine hohe Wohn- und Lebensqualität an
Einst Zollfreilager, jetzt ökologisch vorbildliches
Wohnviertel: das Freilager in Zürich
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