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4|2016
Wiederherstellung der ursprünglichen Optik
„Wer ein so einmaliges Haus möglichst original
sanieren will, muss sich stets auch auf unliebsa-
me und teure Überraschungen einstellen“, weiß
Dr. Constantin Westphal, Geschäftsführer der
Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/
Wohnstadt zu berichten, denn er zeichnet für die
Immobilienbewirtschaftung und auch für dieses
Revitalisierungsprojekt verantwortlich. Ein Bei-
spiel für die Probleme, die sich im Laufe einer
energetischen Sanierung ergeben können, sind
die Vitrinen-Schaufenster in der stattlichen, im-
merhin 130 m langen Ladenzeile. Um die Fenster
mit Verbundsicherheitsglas ausrüsten zu können,
musste zunächst der Originalzustand recherchiert
werden, denn die dort vorgefundenen Bauteile
stammten aus den 1980er Jahren.
„Zur Rekonstruktion des Urzustandes hatten wir
nur ein – nicht ganz lückenloses – Restaurator-
Gutachten und einige Schwarz-Weiß-Fotos“, er-
innert sich Architekt Brinkmann. „Aber dort sind
sehr filigrane Profile zu sehen, die die Denkmalbe-
hörde gerne sowiederhabenwollte – idealerweise
in der Farbe, die dem ursprünglichen Bronzeton
entspricht.“ Der Projektleiter begab sich auf die
Suche, erst bei einemdeutschen Traditionsunter-
nehmen wurde er fündig. Er legte dem Denkmal-
schutzamt drei verschiedene Profilformen aus
eloxiertem Aluminium vor – Viertelkreis, Winkel
und Dreieck – sowie unterschiedliche Farbmuster,
bis annähernd der richtige Bronzeton gefunden
war. Allein die Ladenzeile, so schätzt Brinkmann,
habe 250.000 € gekostet.
Enge Kooperation mit dem Denkmalschutz
„Bei allen Eingriffen in das äußere Erscheinungs-
bild des Kammgebäudes mussten sich unsereMit-
arbeiter stets engmit der Denkmalschutzbehörde
abstimmen. Diese Kooperation, verbunden mit
außerordentlichem Engagement, hat sich jedoch
bei diesem Objekt ganz besonders gelohnt“, so
die Meinung von Geschäftsführer Dr. Westphal,
die alle Beteiligten mit ihm teilen.
Ein weiteres Beispiel für die Akribie, mit der der
Bauherr die Sanierung betrieb, sind die äußeren
Betonwerkstein-Fensterbänke. Sie ragten im
Originalzustand fünf Zentimeter aus der Fassade
und geben den Häusern einen charakteristischen
Schattenwurf. Der allerdings wäre verschwunden,
nachdem 10 cm Wärmedämmungsverbundsys-
tem– auf die üblichen 16 cmwurde aus Denkmal-
schutzgründen bereits verzichtet – auf der Haus-
wand angebracht worden wären. Also bauten die
Fachleute der Nassauischen Heimstätte und deren
Handwerker auf Wunsch der Behörde die Fens-
terbänke mit Fassadenprofilen aus mineralischen
Leichtwerkstoffen nach. Die Originale wurden
keinen Fall so, wie sie es gelernt haben. Sie ver-
standen die Welt nicht mehr ...“, so der Architekt
und Projektleiter bei der NassauischenHeimstätte/
Wohnstadt. Er hat zahlreicheGründe und eine gro-
ßeMotivation, sich für denkmalgeschützte Bauten
zu engagieren: „Ich finde es spannend, in der alten
Substanz zu arbeiten. Jedoch weiß man nie, was
einen an der nächsten Ecke erwartet.“
Das Beispiel zeigt, was Eigentümern und Bauherren
blühen kann, wenn ein denkmalgeschütztes Ge-
bäude energetisch saniert wird. ImSpannungsfeld
zwischen Substanzbewahrung und Klimaschutz
sind Improvisationstalent, finanzielle Spielräume
und langer Atem gefragt. Besonders dann, wenn
das Ensemble beispielhaft für eine ganze Epoche
steht, wie das Kammgebäude am Hanauer Frei-
heitsplatz, das die Eignerin – die Unternehmens-
gruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt – für
mehr als 3 Mio. € aufwändig modernisierte.
Ein typischer Komplex der 1950er Jahre
In seiner Auflistung der Kulturdenkmäler gerät das
Landesamt für Denkmalpflege in Hessen nahezu
ins Schwärmen. Und das für ein Haus, das in den
1950er Jahren errichtet wurde – jener Dekade, die
in ihrer städtebaulichen und ästhetischen Bedeu-
tung gerne unterschätzt wird. Über das Hanauer
Kammgebäude, das zentral amFreiheitsplatz seine
Flugdächer in die Höhe reckt, steht dort zu lesen:
„Die jeweils schmalseitig zum Platz stehenden,
5-geschossigen und als Punkthäuser ausgeführten
Kopfbauten wirken durch die einen Laubengang
ausbildende Pfeilerkonstruktion im Erdgeschoss,
die leicht vorstehenden sowie asymmetrischen
Grabendächer und die schiefwinklig zumPlatz hin
ausgreifenden Balkone elegant und dynamisch
durchgestaltet.“
Das imJahr 1957 von der Nassauischen Heimstät-
te entworfene und gebaute Gebäude-Ensemble
beherbergt 56 Wohnungen und zehn Geschäfts-
einheiten. An den Stirnhäusern schließen sich in
südlicher Richtung langgezogene Wohntrakte
an. Schräg angebaute Balkone und Erker beleben
die Fassaden. Der Einsatz von Kleinmosaiken und
Riemchenverkleidungen trägt ebenfalls zu einem
sehr individuellen Gesamtbild bei.
Charakteristischer Laubengang nach der Sanierung: Riemchen an den Balkonen und am Quertrakt,
abgestützte Balkone, Dämmung an der Fassade und unter dem Dach
Quelle: NH/Rohnke