DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 7/2016 - page 72

STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
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100%-Ziels nicht mit weniger zufrieden sind und
dafür in der Breite eine Vervielfachung des Sanie-
rungsoutputs hinbekommen. Außerdem können
die letzten 10% richtig teuer werden. Wenn wir
mit 10% der Kosten nur noch 0,5% Klimaschutz
erreichen, dann – das sage ich als grüner Politiker
– geht etwas auseinander.
Jochen Freivogel:
Das Thema Gesetzgebung
ist eines, das uns tagtäglich zunehmend vor
nicht mehr logisch zu lösende Konflikte stellt.
Die Vorschriften widersprechen sich auch noch
gegenseitig – offenbar brennt es in Frankfurt an-
ders als in Karlsruhe ... Baulich-technisch können
wir alles machen, aber unter dem Strich steht
dann eine Zahl, die sich keiner mehr leisten kann.
Deshalb fordere ich mehr Vernunft in der Gesetz-
gebung und mehr Spielräume in der Umsetzung.
Dr. Thomas Hain:
Wir haben uns bei der energe-
tischen Sanierung von der Betrachtung einzelner
Häuser verabschiedet und Quartiere gebildet.
Derzeit erarbeiten wir einen Quartiersleitfaden,
an demwir festmachen, was wir zukünftig in den
Quartieren entwickeln wollen. Diesen Leitfaden
werden wir dann in einem Best-Practice-Modell
immer weiter entwickeln. In der Wohnungswirt-
schaft haben wir eine sehr gute Vernetzung und
tauschen uns untereinander gut aus, stellen uns
Best-Practice-Beispiele vor. Wir können uns aber
noch mit anderen Branchen vernetzen und dar-
aus Potenziale entdecken – ich denke z. B. an die
serielle, industrielle Fertigung.
Dr. JulikaWeiß:
Wir sollten bei der energetischen
Sanierung auch berücksichtigen, dass sie zur
kommunalenWertschöpfung beiträgt, Beschäfti-
gung und Steuereinnahmen erzeugt. In Bezug auf
den Neubau weise ich außerdem darauf hin, dass
wir hier nicht über ein rein deutsches Thema spre-
chen. Die EU-Gebäuderichtlinie schreibt bereits
in wenigen Jahren Fast-Nullenergiegebäude vor.
Und der Neubau ist nun mal der Bereich, in dem
sich Klimaneutralität am einfachsten erreichen
lässt. Schließlich sei daran erinnert, dass wir vor
ein paar Jahren einen sehr heißen Sommer hat-
ten. Schreitet der Klimawandel weiter fort, wird
das häufiger passieren – und die Mieter werden
eine Kühlung im Gebäude haben wollen. Damit
kommen enorme Kosten auf die Wohnungswirt-
schaft zu.
Es wurde bereits angesprochen: Viele Städte
wachsen überdurchschnittlich, während an-
dere Gebiete von Bevölkerungsrückgang und
Leerstand geprägt sind. Ihr Unternehmen, Herr
Dr. Hain, hatmit beiden Entwicklungen zu tun.
Wie sieht vor diesemHintergrund Ihre Portfo-
liostrategie aus?
Dr. Thomas Hain:
Tatsächlich sind wir in unse-
remKonzern nicht nur mit der wachsenden Stadt,
sondern auchmit Leerstand konfrontiert. Aus Ge-
bieten, in denen wir für geförderte Wohnungen
mehr Miete nehmen müssen, als auf dem freien
Markt erzielbar ist, ziehen wir uns zurück. Wir
haben eine sehr genaue Portfolioplanung, die
festlegt, wo wir investieren. Die Entwicklung wird
dahin gehen, dass man sich die Quartiere genau
anschauen und sich entscheiden muss, welche
Quartiere man – auch durch Neubau – weiterent-
wickelt.
Olaf Cunitz:
Es ist ja erst einmal relativ einfach:
Bei erhöhtem Nachfragedruck steigen Immobili-
enpreise und Mieten. Wenn ich diese Entwicklung
nicht haben will, muss ich das Angebot vergrö-
ßern. Da sind wir als Kommune gefordert, eine
entsprechende Angebotsplanung zumachen und
z. B. über die Änderung von Bebauungsplänen die
Möglichkeit eröffnen, imBestand nachzuverdich-
ten. Das betrifft vor allem die großen Siedlungen
der 1950er bis 1970er Jahre. Dabei müssen wir
allerdings auch Interessenskonflikte lösen kön-
nen, die durch die Inanspruchnahme von Freiräu-
men entstehen. Wir werden ferner an die Entwick-
lung neuer Baugebiete herangehen müssen, und
wir werden die Herauforderungen des Wachstums
nur regional bewältigen können. Dafür braucht es
die Entwicklung einer gut vernetzten polyzent-
rischen Stadtregion, wozu auch der Ausbau des
öffentlichen Personenverkehrs gehört. Das alles
ist mit schwierigen Diskussionen verbunden. Viele
fordern, nicht die Stadt noch mehr zu verdich-
ten, sondern lieber in der Umlandregion zu bauen.
Aber das erzeugt nur noch mehr Pendlerströme
– und die Ökobilanz ist nun mal eindeutig: Die
kompakte, dichte Stadt ist unter dem Aspekt der
„Wer sich ein neues Bad einbaut oder ein neues Auto kauft,
fragt sich nicht, ob sich das rechnet, sondern überlegt sich, was es
ihm bringt. In diese Richtung muss auch die Diskussion über die
Energieeffizienz in Gebäuden gehen. “
Dr. Julika Weiß
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