DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 10/2015 - page 81

mentberaterin, gebe es über alle Branchen hin-
weg einige grundlegende Maximen und Trends.
„Unternehmen können auf Dauer nur dann über-
leben, wenn die Kunden sie lieben“, sagt sie. Die
Machtverhältnisse zwischen Kunde und Anbieter
hätten sich umgekehrt. Die Konsumenten seien
die neuen Vermarkter. „Zu 80% vertrauen wir
dem, wozu unser persönliches Umfeld uns rät,
und folgen solchen Hinweisen gern. Und zu 64%
bauen wir auf das, was die Menschen auf Online-
plattformen erzählen.“
Für die Beraterin ist es entscheidend, dass Un-
ternehmen ihre Hausaufgaben machen, wenn es
um die „Momente der Wahrheit“ geht. „An den
Berührungspunkten zwischen Anbieter und Kunde
– den Touchpoints – muss eine Menge Gutes pas-
sieren“, sagt sie. „Denn Kunden sind ungeduldig
und bisweilen gnadenlos: Wenn es auch nur an
einer Stelle klemmt und ein einziger Mitarbeiter
einen Fehler macht, dann kann das heute schon
das Aus bedeuten.“
Technologie könne in diesem Zusammenhang
immer nur ein Hilfsmittel sein, das reibungslos
im Hintergrund laufen muss. „Die große Gefahr
besteht darin, dass dort, wo die Technologie
das Sagen hat, das Menschliche auf der Strecke
bleibt. Menschen sind keine Datenpakete. Und
kein bürokratischer Vorgang. Und so wollen wir
auch nicht gemanagt werden“, ist Anne Schüller
überzeugt.
Auf der anderen Seite sei die digitale Transfor-
mation der Gesellschaft nicht aufzuhalten. Das
„Internet der Dinge“ verändere die Art und Weise
völlig, wie wir leben, arbeiten und auch wohnen.
„Alles, was digitalisiert werden kann, wird digita-
lisiert“, sagt die Marketingexpertin. „Schon bald
werden wir alle ganz selbstverständlich in einer
so genanntenMixed Reality unterwegs sein, in der
sich Online und Offline komplett vermischen.“
Umso wichtiger seien „alte Tugenden“ wie Ver-
lässlichkeit, Menschlichkeit, ein wenig Humor
und gesunder Menschenverstand, umden kleinen,
aber feinen Unterschied zu machen.
Zweigleisig: Digital und persönlich
Aber wie schafft man das: die Digitalisierung
gestalten und gleichzeitig den Mietern eine per-
sönliche Betreuung und ein gutes Gefühl geben?
„Indem man das eine tut und das andere nicht
unterlässt“, sagt Nina Weigl. Was meint die Lei-
terin Bestandsmanagement bei der FLÜWO Bauen
Wohnen eG (FLÜWO) aus Stuttgart damit? „Wir
versuchen, den unterschiedlichen Bedürfnissen
von Mietern gerecht zu werden. Es gibt jüngere
Mieter, die wie selbstverständlich die digitalen
Kanäle nutzen, und ältere Mieter, denen das per-
sönliche Gespräch und ein Händedruck sehr wich-
tig sind. Also fahren wir zweigleisig.“
„Mieterportal“ heißt das digitale Gleis bei der
FLÜWO, die 8.700 Wohnungen an 23 Standorten
in Baden-Württemberg und in Dresden unterhält.
Über das Webportal, für das die FLÜWO 2014 den
DW-Zukunftspreis der Immobilienwirtschaft er-
halten hat (siehe DW 8/2014, S. 56 ff.), können
Mieter vorgefertigte Formulare herunterladen,
Einsicht in ihr Mietkonto nehmen, eine Ände-
rung der persönlichen Daten vornehmen oder
eine Schadensmeldung abgeben. Also Standard-
aufgaben, deren Abwicklung über das Netz Zeit
spart, und die es der sehr dezentral aufgestellten
FLÜWO erleichtert, Anfragen geordnet abzuar-
beiten. 20% der Mieter nutzen das Portal inzwi-
schen regelmäßig – ein
Wert, mit dem man am
FLÜWO-Sitz in Stutt-
gart zufrieden ist.
Zurücklehnen könne
man sich deshalb aber
nicht, sagt Nina Weigl. „Im Gegenteil: Die Mie-
ter erwarten immer wieder neue Funktionen.“ In
der nächsten Ausbaustufe des Portals soll es z. B.
möglich sein, Freistellungsaufträge oder Einzugs-
ermächtigungen digital zu unterzeichnen. Bislang
müssen derlei Formulare immer noch ausgedruckt,
unterschrieben und postalisch versandt werden.
„Solch eine Funktion ist zwar wünschenswert,
aber technisch und rechtlich nicht trivial“, gibt
sie zu bedenken. Gute Vorbereitung ist deshalb
alles. Überhastete digitale Lösungen, die Unmut
und Mehrarbeit erzeugen, müsse man um jeden
Preis vermeiden.
Die Digitalisierung ist kein Allheilmittel für alle
Aufgaben. Das stand für die FLÜWO früh fest. Sie
erlag deshalb auch nicht der Versuchung, an den
analogen Formen des Kundenkontaktes zu spa-
ren. „Seit 2012 bieten wir einen telefonischen
Notrufservice an, der 24 Stunden erreichbar ist“,
sagt sie. „UnsereMieter schätzen das sehr, es gibt
ihnen Sicherheit.“ Und auch beimThema „Mieter-
betreuer“ schlug die FLÜWO keinen Sparkurs ein.
Sie stellen nach wie vor den Erstkontakt mit dem
Mieter her und stehen auch sonst regelmäßig als
Ansprechpersonen persönlich vor Ort zur Verfü-
gung. „Das hat einen großen emotionalen Wert,
der uns bewusst ist und den wir pflegen“, betont
NinaWeigl. „Der persönliche Kontakt zumKunden
ist Teil unseres Selbstverständnisses – heute und
in Zukunft.“
„Es ist die Meisterschaft der kleinen Dinge, die Summe
der Details, die bei einer Kundenbeziehung zählt.“
Anne Schüller
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