Contoller Magazin 3/2018 - page 51

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Hochschullehrer haben in unserem Fach traditi-
onell einen großen Einfluss auf die Praxis. Frü-
her galt dies als selbstverständlich, ist doch die
Betriebswirtschaftslehre eine anwendungsori-
entierte Wissenschaft. Heute ist die Forschung
methodisch viel rigider geworden und hat sich
von praktischen Problemen häufig weit ent-
fernt.
Dennoch bleibt ein starker Einfluss
der Academia auf die Praxis bestehen
, allein
schon durch die Inhalte, die den Studierenden
an den Hochschulen beigebracht werden. Auch
finden sich immer noch genügend Kollegen, die
sich die Praxisbeeinflussung explizit auf die
Fahnen geschrieben haben. In einer soziologi-
schen Perspektive betrachtet (vgl. meine Ko-
lumne im Heft 4/2017) bauen sie mit dieser Ar-
beit einen normativen Druck auf die Praxis auf.
Auch ich selbst bin in diesem Thema unter-
wegs, als Vorsitzender des Kuratoriums des
ICV, als Co-Autor des meistverkauften Control-
ling-Lehrbuchs, als Mitherausgeber der Cont-
rolling & Management Review und schließlich
als Autor dieser regelmäßigen Kolumne im
Controller Magazin. Wenn ich meine normati-
ven Ratschläge für die Praxis Revue passieren
lasse, waren das über einen Zeitraum von mehr
als dreißig Jahre hinweg in der Tat nicht weni-
ge: Die Einbeziehung nicht-finanzieller Daten in
die Steuerung, eine größere Marktnähe der
Controller, eine bessere Controlling-Abdeckung
der Logistik, ein Wechsel der grundsätzlichen
Perspektive des wirtschaftlich handelnden
Menschens (vom homo oeconomicus zur ver-
haltensorientierten Sicht), die Einführung eines
Nachhaltigkeitscontrollings, die Übernahme der
Rolle eines Business Partners und nun auch
noch eine aktive Rolle in der digitalen Transfor-
mation. Parallel ist die Systemlandschaft der
Controller durch die Einführung von ERP-Syste-
men einmal komplett umgepflügt worden und
steht vor einer neuen grundlegenden Verände-
rung. Und schließlich ist durch IFRS auch in der
externen Rechnungslegung kein Stein mehr auf
dem anderen geblieben, was zu einem ganz
neuen Zusammenspiel zwischen Controllern
und Accountants geführt hat. Vor diesem Hin-
tergrund
möchte ich an dieser Stelle einmal
tief den Hut ziehen vor den „werktätigen“
Controllern
. Sie haben sich von dieser Vielzahl
geforderter Veränderungen nicht abschrecken
lassen. Natürlich hat es geholfen, dass von un-
ten junge Controller nachgewachsen sind, die
an ihren Hochschulen mit den neuen Themen
vertraut gemacht wurden.
Dennoch ist die ge-
samte Controllerzunft aus der Hubschrau-
berperspektive heraus betrachtet bemer-
kenswert wandlungsfähig.
Bei genauem Hinsehen
zeigt sich allerdings
auch, dass manche Anstrengungen eher ei-
nen deklaratorischen Charakter haben
. Das
Logistik-Controlling ist bis heute eine Domäne
der Logistiker geblieben. Non financials sind
zwar überall zu finden, spielen aber in der Steu-
erung gegenüber financials immer noch eine
eher untergeordnete Rolle. Biases und kognitive
Beschränkung sind zwar keine Fremdworte
mehr, aber bis heute ist harte Analytik das be-
stimmende Prinzip im Controlling. Nachhaltig-
keit ist aus der Liste der Top-Zukunftsthemen
des Controllings – wie wir aus unseren Studien
wissen – schon wieder verschwunden, und
auch in Richtung Business Partner hat sich un-
seren Daten nach in den letzten drei Jahren nur
sehr wenig bewegt. Welche Lehre kann man
daraus ziehen? Offensichtlich versucht die Pra-
xis das, was wir Hochschullehrer normativ for-
dern, zu erfüllen, stößt dabei aber an (enge)
Grenzen.
Die Liste der normativen Forderun-
gen ist lang und gleichzeitig die Kapazität
der Controller knapp.
Veränderungen kom-
men immer zum Tagesgeschäft hinzu, und
schon das ist zumeist so umfangreich, dass es
geradeso geschafft wird. Kapazitätsengpässe
sind die Regel. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist
die Umsetzung des Themas Nachhaltigkeit in
die Unternehmenssteuerung. Jeder ist davon
überzeugt, dass Nachhaltigkeit ein must- und
nicht nur nice to have-Thema ist. Allerdings do-
miniert aktuell die Digitalisierung die Aufmerk-
samkeit der Controller und ihre Kapazität so
stark, dass Nachhaltigkeit nicht parallel weiter
vorangetrieben werden kann.
Was kann ich Ihnen also raten? Sie sollten sich
auf der einen Seite nicht von all den vorgeschla-
genen Veränderungen verwirren lassen. Auf
der anderen Seite sind alle wichtig und dürfen
nicht von Ihnen übersehen werden.
Jeder Con-
troller muss sich selbst einen Fahrplan ma-
chen
und die Veränderungsmaßnahmen ent-
sprechend zeitlich priorisieren. Dafür, wie er
das tun sollte, erfährt er aus der Academia he-
raus aber nur beschränkt Hilfestellung. Bis zu
einem gewissen Maße ist diese unbefriedigen-
de Situation unvermeidlich. Bis ins Detail reicht
die Empfehlungskraft von Theorien nur sehr
selten, wenn überhaupt. Entweder Sie vertrau-
en also Ihrer eigenen Einschätzungsfähigkeit
und Ihrem gesunden Menschenverstand, oder
Sie versuchen, einen Berater zu Rate zu ziehen,
der Ihnen bei der Erstellung einer Roadmap
hilft. Seien Sie aber bei der Auswahl vorsichtig.
Nicht jeder Berater kann das.
Verlangen wir zu viel
von unseren Controllern?
von Jürgen Weber
Autor
Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber
ist Direktor des Instituts für Management und Controlling
(IMC) der WHU – Otto Beisheim School of Management Cam-
pus Vallendar, Burgplatz 2, D-56179 Vallendar;
edu/controlling. Er ist zudem Vorsitzender des Kuratoriums
des Internationalen Controller Vereins (ICV).
E-Mail:
CM Mai / Juni 2018
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