CONTROLLER Magazin 3/2016 - page 10

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eines EU-Projektes haben wir letztes Jahr eine
ähnliche Untersuchung europaweit gemacht.
Eine Reihe von anderen wissenschaftlichen
Studien kommt zu durchaus vergleichbaren Er-
gebnissen.
Der betriebswirtschaftliche Erfolg kann
zu 30 Prozent aufgrund der Wirkung der
Werte erklärt werden.
Biel:
Reduzieren wir damit nicht Kulturwirkun-
gen auf Zahlen?
Dr. Schönborn:
Solche Zahlen sehe ich nur als
Beleg für die betriebswirtschaftliche Rele-
vanz.
Viel wichtiger ist mir, auf die Chancen zu
sprechen zu kommen, die eine gute Unterneh-
menskultur bietet. Eine erfolgreiche Unterneh-
menskultur, unter der Innovationen entstanden
sind oder spezifische Leistungen, führt doch
zu einer
Wettbewerbs-Positionierung im
Markt
, die vom Mitbewerber nicht einfach ko-
piert werden kann. Oder: Viele erfolgreiche Un-
ternehmen, die ihre Erfolgskultur (vgl. Abbil-
dung 2) pflegen, gelten genau deswegen als
‚attraktiver Arbeitgeber’. Und diese Unterneh-
men sind es auch, die auf den cultural fit ach-
ten, also darauf, dass sie die passenden Mitar-
beiter für die Aufgaben der Zukunft gewinnen.
Biel:
Wenn also Firmen nicht die „richtigen
Fachkräfte“ finden, haben sie auch ein kulturel-
les Problem?
Dr. Schönborn:
Ich kenne viele Unternehmen,
die darunter leiden, dass es immer schwieriger
wird, die richtigen Fachkräfte – die zur Kultur
passenden Menschen – für sich zu gewinnen.
Wer es dagegen schafft, ein attraktives Umfeld
für Leistungsträger zu schaffen und diese des-
wegen finden oder länger halten kann, hat Vor-
teile im Markt.
Unternehmenskultur ist also
ein wichtiger Wettbewerbsfaktor.
Biel:
Es drängt sich die Frage auf, in welcher
Weise lässt sich die Unternehmenskultur ge-
stalten und formen – und damit über die Kultur
betriebswirtschaftlichen Erfolg generieren?
Dr. Schönborn:
Na ja, um es noch mal zu er-
wähnen, wir sollten uns nicht der Illusion hinge-
ben, dass es „Stellschrauben“ gibt, an denen
wir drehen können und das Ergebnis stellt sich
ein. Wir wissen, es gibt einige Dimensionen der
Unternehmenskultur, die positiv mit Leistungs-
orientierung verbunden sind. Wenn Unterneh-
men diese Dimensionen bei der Führung und in
der täglichen Arbeit beachten, steigt die Chan-
ce, erfolgreich zu sein.
Biel:
Können Sie uns eine „erfolgreiche Unter-
nehmenskultur“ skizzieren?
Dr. Schönborn:
Wenn ich so eine positiv wir-
kende Kultur beschreiben soll, wären mir diese
Punkte wichtig:
1. Ein Unternehmen sollte erstens eine
Ver-
antwortung übernehmen
, die über die
Herstellung von Produkten und Leistun-
gen hinausgeht, also soziale Kompetenz
zeigen als Bürger der Gesellschaft, sich
engagieren, z. B. im ökologischen Be-
reich, im sozialen Umfeld des Unterneh-
mens. Und es sollte Vieles tun, um die Ar-
beitszufriedenheit hochzuhalten.
2. Zweitens sollte das Unternehmen die
Identität der Mitarbeiter
mit ihrem Un-
ternehmen fördern, den Sinn des Tuns
vermitteln. Identifikation als Wertorien-
tierung zeigt hohe Wechselwirkung mit
Leistungsindikatoren.
3. Drittens sollte ein Unternehmen die
per-
sönliche Kompetenz
der Mitarbeiter
unterstützen, wo es nur geht. Das Enga-
gement und die Leistungsorientierung
stehen im engen Zusammenhang mit der
Art und Weise, wie ein Mitarbeiter sich
gefördert fühlt.
4. Viertens ist ein
vertrauensvoller Um-
gang
wichtig. Nicht nur zwischen den Mit-
arbeitern, sondern vor allem auch von den
Führungskräften mit den Mitarbeitern.
5. Und fünftens zeigt sich, dass eine offene,
partizipative Führung
effektiver ist, als
eine formale Führung, die mit ausgepräg-
ten Hierarchie- und Machtstrukturen
arbeitet. Mitarbeiter wollen auch bei
Entscheidungen beteiligt sein.
Biel:
Immaterielle Größen wie die Unterneh-
menskultur stellen eine besondere Herausfor-
derung dar, weil die klassischen Verfahren der
betriebswirtschaftlichen Messung und Bewer-
tung nicht greifen. Sie vertreten, dass Mitarbei-
ter einen Kapitalwert darstellen. Sie arbeiten
mit dem Begriff des Wertekapitals. Verdeutli-
chen Sie uns bitte Ihren Ansatz in groben Zügen.
Dr. Schönborn:
Der Personaleinsatz in den
Unternehmen verursacht eine bedeutende Kos-
tenposition, um es vorsichtig auszudrücken.
Häufig sind Personalkosten sogar die größte
Kostenposition. Aber tatsächlich wird der
Per-
sonaleinsatz zu wenig als Investitionsgröße
oder als Kapital des Unternehmens angesehen.
Von allen möglichen materiellen Größen und
Sachinvestitionen werden Kosten-/Nutzen-Be-
trachtungen angestellt. Sie sind soweit perfek-
tioniert, dass alle Handlungsbereiche der Un-
ternehmen in Potenzialoptimierung einbezogen
werden können. Würde die kulturelle Leis-
tungsfähigkeit der Mitarbeiter in gleicher Weise
als Potenzial für das Unternehmen angesehen,
und bemisst man diesen Wertbeitrag zur Unter-
nehmensleistung, dann stellte der vermeintlich
‚weiche Faktor’ einen messbaren Kapitalwert
des Unternehmens dar. Eine quantifizierte
Po-
tenzialbewertung der Mitarbeiter
sollte dar-
um in die Kosten-/Nutzen-Betrachtung einbe-
zogen werden. Neben dem Bilanzkapital schla-
ge ich vor, aus einer Human-Kapital-Bewertung
eine immaterielle Kapitalgröße zu bilden. Stel-
len Sie sich nur einmal vor, wir haben ein Team
acht Stunden im Normal-Modus beschäftigt.
Wenn die Stimmung schlecht wird, die Kultur
nicht stimmt, sinkt die Tagesleistung mal
schnell um 20 bis 30% ab.
Biel:
Dies kann passieren, wie die Praxis zeigt
– und dann?
Dr. Schönborn:
Denken wir umgekehrt, das
Team ist voll motiviert und arbeitet mit einer
tollen Leistungskultur; Leistungssteigerung um
20 oder 30% gegenüber ‚Normal-Modus’ ist
nicht außergewöhnlich, oder? Wir reden hier
über eine Schwankungsbreite des Leistungs-
potenzials von über 50 Prozent!
Biel:
Dies ist die Überleitung zu einem betrieb-
lichen Kernproblem. Wir neigen ja dazu, “klas-
sisch“ zu optimieren, zu rationalisieren, Kosten
zu senken usw.
Dr. Schönborn:
Genau. Viele Führungskräfte
und Mitarbeiter haben doch längst erkannt,
dass die
klassischen Potenzialoptimierun-
gen
aus Prozessverbesserungen, Rationalisie-
Interview zum Thema: Unternehmenskultur – Sozialromantik oder betriebsw. Erfolgsfaktor?
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