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SPEZIAL KANZLEIEN
_RECHTSPRECHUNG
spezial Kanzleien im Arbeitsrecht 2016
Elternzeit generell europarechtswidrig
sei. Auf diese Beurteilung, entschied das
BAG erkennbar froh, käme es im vorlie-
genden Fall nicht mehr an.
Urteil vom 19.5.2015, 9 AZR 725/13
Arbeitskampf: Die BAG-Richter als
Ersatzgesetzgeber im Streikrecht
Der arbeitsrechtliche Streik ist im
Grundgesetz verankert und hat somit
eine eindeutige gesetzliche Rechts-
grundlage. Welche Spielregeln bei ei-
nem Streik aber einzuhalten sind, das
wird weder durch das Grundgesetz noch
durch ein ausführendes „Streikgesetz“
definiert. Von daher ist die Aufgabe
des Bundesarbeitsgerichts als „Ersatz-
gesetzgeber“ in diesem Bereich beson-
ders ausgeprägt. Das gilt nicht nur für
Streikfragen im engeren Sinne, also für
Streitigkeiten, die zwischen Gewerk-
schaften und bestreikten Unternehmen
über die Rechtmäßigkeit der Arbeits-
kampfmaßnahme zu schlichten sind.
Auch Ansprüche gegen Gewerkschaf-
ten von drittbetroffenen Unternehmen
werden in letzter Instanz durch den
1. Senat des Bundesarbeitsgerichts über-
prüft. In einem Urteil vom August 2015
beschäftigt sich das BAG mit der Frage,
ob die von einem Streik der Fluglotsen
betroffenen Luftverkehrsgesellschaften
gegen die streikführende Gewerkschaft
einen Schadensersatzanspruch wegen
ausgefallener, verspäteter oder umge-
leiteter Flüge haben. Dies haben die
Richter im Ergebnis abgelehnt, da sich
der Streik nicht direkt gegen die Luft-
verkehrsunternehmen selbst gerichtet
habe, sondern gegen den Flughafenbe-
treiber. Mittelbar von einem Streik be-
troffene Unternehmen haben nach die-
sem Grundsatzurteil keine Möglichkeit,
Gewerkschaften in Haftung zu nehmen,
selbst wenn es sich um einen rechtswid-
rigen Streik handelt.
Urteil vom 25.8.2015, 1 AZR 754/13
Scheinselbstständigkeit im Zirkus:
Die Grenzen der Revisionsinstanz
„Nageln Sie mal einen Pudding an die
Wand.“ Mit dieser flapsigen Bemerkung
hat der frühere Richter am BAG, Gerhard
Reinecke, die Schwierigkeit beschrie-
ben, rechtssicher zu entscheiden, ob
ein Vertragsverhältnis mit einem freien
Mitarbeiter durchgeht oder als Arbeits-
verhältnis zu werten ist. Eine gesetzliche
Definition gibt es nicht, sodass auch hier
das BAG einspringen muss. So auch in
einem Urteil aus dem August 2015, in
dem Zirkusartisten den Status als frei-
er Mitarbeiter erhalten haben. Wer jetzt
denkt, damit sei für eine rechtssichere
Beurteilung ein brauchbarer Pflock ein-
geschlagen worden, der wird allerdings
enttäuscht, denn eine wirkliche Hilfe für
die Praxis ist das Zirkusurteil nicht. Böse
Zungen behaupten, es sei nur auf die für
Grundsatzentscheidungen vorgesehene
amtliche Internetseite geraten, weil die
zugrunde liegende Beschäftigungsart
– Vertragsgegenstand war eine Auffüh-
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Sitz in Luxemburg macht dem Bundesar-
beitsgericht das Leben schwer. Jetzt drehen die Richter des BAG den Spieß um und
schütten vor schwierigen Entscheidungen die Luxemburger Kollegen mit Arbeit zu.
Besonders bei Problemen des Betriebsübergangs und des Diskriminierungsrechts wer-
den die BAG-Richter immer wieder von abweichenden Rechtsansichten ihrer Luxembur-
ger Kollegen überrascht und müssen frustriert feststellen, wieder einmal ein Urteil „für
den Papierkorb“ gefällt zu haben. Um dieser Gefahr zu begegnen, greifen die Bundes-
richter vermehrt zur sogenannten EuGH-Vorlage. Dadurch zwingen sie den EuGH dazu,
vorab Farbe zu bekennen.
Vorlageverfahren zum Betriebsübergang
Penibel haben die BAG-Richter bei dieser Vorlage das Problem einer tariflichen dynami-
schen Bezugnahmeklausel auf den Punkt gebracht. Sie wollen vom EuGH wissen, ob der
Erwerber eines Betriebs auch dann auf Dauer an das Tarifversprechen des Veräußerers
gebunden ist, wenn das nationale Recht auch einseitige Anpassungsmöglickeiten für
den Erwerber vorsieht. An dieser Frage wird der EuGH zu knabbern haben, denn die
Erfurter Richter schließen für den Fall, dass es sich die Luxemburger Kollegen zu leicht
machen, an die Ausgangsfrage eine ganze Reihe von weiteren Fragen an. So wird
sich der EuGH mit einer 15-seitigen Begründung, die von Spezialfragen nur so strotzt,
detailliert auseinandersetzen müssen.
Vorlagebeschluss vom 17.6.2015, 4 AZR 61/14
Vorlageverfahren betreffend AGG-Hopping
Das BAG beabsichtigt, den sogenannten „AGG-Hoppern“ das Handwerk zu legen. Es
möchte Stellenbewerbern einen Anspruch auf Entschädigungsansprüche dann ver-
wehren, wenn feststeht, dass diese gar nicht den „Zugang zur Beschäftigung oder zu
abhängiger Erwerbstätigkeit“ im Auge haben, sondern nur den formalen Status eines
„Bewerbers“ wollen. Mit dieser Differenzierung konfrontiert das BAG jetzt den EuGH.
Auch hier erfolgte eine mehrstufige Anfrage. Sollten die Luxemburger Richter die vom
BAG vorgenommene Unterscheidung von Bewerbung und Zugang zur Beschäftigung
nicht teilen, müssen sie sich noch der Folgefrage stellen, nämlich ob „AGG-Hopping“
auch nach Unionsrecht als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann.
Vorlagebeschluss vom 18.6.2015, 8 AZR 848/13
Darüber muss Luxemburg entscheiden
EUROPARECHT