wirtschaft und weiterbildung 10/2015 - page 34

training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
10_2015
wahrscheinlich auch deutlich einfacher
im Organisationsrahmen zu beziffern,
was ein Grund für die generell höheren
Coaching-Honorare in diesem Kontext
sein kann. Schaut man sich die am besten
honorierten Themen an und verknüpft
das mit entsprechenden Herausforde-
rungen, die im Alltag auf den Coaching-
Klienten warten, so kann man sich leicht
entsprechende ökonomische Auswirkun-
gen auf die Organisation vorstellen, wenn
eine solche Herausforderung (Change
Management, Umstrukturierung, Füh-
rung einer Abteilung, Produktivität eines
Teams) gemeistert oder eben auch nicht
gemeistert wird.
Folgende Zusammenfassung der auf-
gezählten Umfrageergebnisse erscheint
sinnvoll: Eine Herausforderung mit gro-
ßen Konsequenzen für mich persönlich
wie auch für mein Umfeld (von dem ich
abhängig bin) möchte ich wahrschein-
lich mit einem erfahrenen, auf Coaching
spezialisierten Berater reflektieren als mit
jemandem, der eigentlich etwas anderes
macht und Coaching nur als Lückenfül-
ler für seine sonstigen Tätigkeiten nutzt.
Es dreht sich beim Honorar also alles um
den zu erwartenden Nutzen, den ich mir
vom Coaching verspreche. Alle Aspekte,
die mir ein Mehr an Nutzen versprechen,
werden tendenziell von mir auch hono-
riert.
Anders sein hilft
Die Frage, die sich Coachs stellen soll-
ten, ist also nicht, welche Qualifikation
habe ich und wie kann ich diese in hö-
here Stundensätze umwandeln. Die Frage
lautet vielmehr, welchen Herausforde-
rungen meine Kunden gegenüberstehen
und welchen Nutzen ich im Rahmen der
Bewältigung dieser Herausforderungen
liefern kann. Richte ich mein Angebot
nutzenmaximiert aus, spreche ich beim
Honorar erst einmal gar nicht über die
Stunden, die das Coaching wahrschein-
lich benötigen wird. Vielmehr geht es um
den Wert des Ergebnisses des Coachings
für den Coaching-Klienten und seine Or-
ganisation. Natürlich wird auch heute
schon in der Auftragsklärung über Ziele
und mögliche Ergebnisse gesprochen.
Gleichzeitig geht es sehr schnell um die
benötigte Zeit und die damit verbunde-
nen Stundensätze. Wird mehr über den
zu erwartenden Nutzen der angestrebten
Ziele gesprochen, sind wir viel stärker
bei einer Diskussion über den Wert der
gesamten Beratungsleistung und weniger
bei Stundensätzen. Coaching als Produkt
würde dann stärker wie andere Bera-
tungsleistungen von Unternehmensbera-
tungen (zum Beispiel Strategieberatung)
verkauft.
Heute kommt allerdings das vorherr-
schende Geschäftsmodell im Coaching
weniger aus dem Bereich der Unterneh-
mensberatung, sondern eher aus dem
therapeutischen Umfeld. In diesem Um-
feld sitzt ein Therapeut in seiner Pra-
xis und ein Patient nach dem nächsten
kommt zur Tür herein – oft überwiesen
von einem Arzt. Ziel ist hier in erster
Linie die Genesung und nicht unbedingt
die Nutzenmaximierung, geschweige
denn die ökonomische Nutzenmaximie-
rung. Es wird im Vorfeld eine Anzahl von
Therapiestunden bei der Krankenkasse
beantragt, die dann auch abgerechnet
wird. Damit nicht zu viele Therapeuten
an einem Ort tätig sind, werden die Nie-
derlassungszahlen zentral reglementiert.
Unter diesen Bedingungen mag eine Ab-
rechnung nach Stunden durchaus viel
Sinn machen.
Allerdings arbeiten Coachs in der Regel
anders. Sie haben nicht einen Coaching-
Klienten nach dem nächsten, der in ihre
Praxis kommt. Es gibt keinen Überwei-
sungskontext, keine Niederlassungs-
beschränkung und nicht einmal ein ge-
schütztes Berufsbild. Wenn ein Coach
vormittags und nachmittags jeweils einen
Coaching-Klienten hat, und mit jedem je-
weils zwei Stunden verbringt, so ist der
ganze Tag durch vier abrechenbare Stun-
den belegt. Würde der Coach, der wahr-
scheinlich auch Trainer, Moderator oder
Organisationsentwickler ist, diesen Tag
als Workshop-Tag verkaufen, so würde
er wahrscheinlich mehr Geld verdienen.
Dem Coach entstehen also durch seine
Entscheidung, zwei Coaching-Klienten
zu empfangen, deutliche Opportunitäts-
kosten für diesen Tag.
Beispiel für ein „Projekt“
Damit stellt sich die Frage, ob dies so
sein muss. Wie die kurze Beschreibung
des Geschäftsmodells der Unternehmens-
berater zeigt, ist die Antwort natürlich
Nein. Schon heute gibt es eine Reihe von
Coachs, die eher Coaching-Projekte ver-
kaufen und so nicht mehr auf Stunden-
basis bezahlt werden. Damit bekommt
die Frage nach den zentralen Faktoren
für das Coaching-Honorar eine ganz neue
Wendung. Vielleicht sind es weniger die
oben diskutierten Aspekte wie Lebens-
alter, Berufserfahrung und Spezialisie-
rung, sondern eher die Frage nach dem
Geschäftsmodell, mit dem sich der Coach
am Markt etabliert hat.
Leider liegen zu dieser Frage aus der Coa-
ching-Umfrage noch zu wenig empirische
Daten vor, doch soll der Unterschied zu
allen oben diskutierten Aspekten der Ho-
norargestaltung an einem realen Beispiel
deutlich gemacht werden: Ein Coach mit
längerer genereller Führungserfahrung ist
seit zehn Jahren selbstständig im Bereich
Coaching tätig. Er verfügt über diverse
Zusatzausbildungen, aber über keine
längere Coaching-Ausbildung. Coachings
verkauft er grundsätzlich als Gesamtpro-
jekt. Darin sind enthalten ein Auftragsklä-
rungsgespräch, ein definierter Zeitraum
mit fünf bis sechs Coaching-Sitzungen
sowie eine Nachbesprechung mit Auftrag-
geber, Coaching-Klient und seiner Person.
R
Jörg Middendorf,
Diplom-Psychologe
und M. Sc. in Psy-
chology, leitet das
auf die Themen
Coaching, Konflikt und Teamentwick-
lung spezialisierte BCO Büro für Coa-
ching und Organisationsberatung in
Frechen bei Köln. Berufserfahrung sam-
melte er zuvor als Psychologe im Perso-
nalwesen der Bayer AG und als interner
Coach bei McKinsey & Company. Er ist
bekannt als Buchautor, Organisator der
jährlichen „Coaching-Umfrage Deutsch-
land“ und Online-Coach von MWonline.
BCO Büro für Coaching
Jörg Middendorf
Tel. 02234 9335191
AUTOR
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