wirtschaft und weiterbildung 10/2015 - page 30

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
10_2015
Geschäftsführerin eines Familienbetriebs im Pharmabereich
Kompetenzprofil:
Barbara W. hat eine hohe unternehme-
rische Kompetenz, die sie mit großer Branchenexpertise
und finanztechnischem Sachverstand verbindet. Ihr Pro-
fil ist durch berufliche Stationen in Europa und den USA
international ausgerichtet. Sie kann auf viele erfolgreiche
Entscheidungen in dem Konzern, aus dem sie kommt, ver-
weisen und bringt von dort ausgezeichnete Referenzen mit.
Ihr Führungsstil ist eher mitarbeiterorientiert, womit sie in
Bezug auf die Ergebnisse gute Erfahrungen gemacht hat.
Familiärer Hintergrund:
Barbara W. ist 45 Jahre alt, verhei-
ratet und Mutter von drei Kindern im Alter zwischen acht
und 14 Jahren. Ihr Mann ist freiberuflich tätig und arbeitet
von zu Hause aus. Für beide Partner ist der Beruf wichtig,
aber, nachdem die Familie die Entscheidung getroffen
hat, nach Deutschland überzusiedeln, gehen Partner und
Kinder dorthin mit, wo Barbara W. die neue Geschäftsfüh-
rungsaufgabe findet. Sie ist als Hauptverdienerin dieje-
nige, die über den Standort der Familie entscheidet und
die Familie unterstützt sie ohne Einschränkung. Beide Ehe-
partner teilen sich die Erziehung – der Ehemann übernimmt
die Betreuung unter der Woche und am Wochenende unter-
nimmt die Familie etwas gemeinsam.
Mindset:
Barbara W. ist eine internationale Managerin
mit einem positiven Selbstbild. Sie ist mit sich und dem
im Leben Erreichten zufrieden und zieht einen großen Teil
ihrer Kraft aus der Familie. In ihrer früheren Konzernposi-
tion hatte sie die Chance, sich über jährliche 360-Grad-
Feedbacks sehr gut kennenzulernen und die Rückmeldun-
gen zu reflektieren. Durch ihre Kultur und Sozialisation
bringt sie eine diskursive Offenheit, Freude am Umgang mit
Menschen und ein ausgeprägtes Gefühl für Gerechtigkeit,
Gleichberechtigung und einen stabilen Selbstwert mit.
Berufliche Netzwerke:
Sie ist eine aktive Netzwerkerin,
selbst Mentorin und fördert Frauen in ihrem Geschäftsseg-
ment. Sie bedauert, selbst keinen Mentor zu haben.
Unternehmenskultur:
Das Unternehmen hat durch sei-
nen Geschäftsauftrag eine ausgeprägte Innovations- und
Veränderungsorientierung, durch die Eigentümerstruktur
aber einen eher konservativ-patriarchalen Zuschnitt. Das
führt zu einer starken Ambivalenz gegenüber Frauen in
Führungspositionen, die auf der oberen Führungsebene
sowieso eine Ausnahme sind. Barbara W. ist die einzige
Beispiel 3.
Dieses dritte Beispiel zeigt, dass der Umstand, ob eine Frau sich für oder gegen Kinder
entschieden hat, nicht ihren Erfolg in einer Führungsposition definiert. Die Geschäftsführerin eines
produzierenden Familienunternehmens kam ins Coaching, weil sie zusammen mit ihrer Familie aus
einem Nachbarland nach Deutschland übersiedeln wollte und deshalb eine Führungsposition in
einem deutschen Unternehmen der Pharmabranche auf Geschäftsführungslevel suchte.
Frau auf Direktoren- und Geschäftsführungsebene und
erlebt die männlichen Kollegen eher als rivalisierend.
Strukturen und Prozesse:
Für Mitarbeiter gibt es ein famili-
enfreundliches Personalentwicklungskonzept mit Lebens-
phasenorientierung, das auf dem Papier auch für Füh-
rungskräfte gilt, aber aus gutem Grund nicht von ihnen in
Anspruch genommen wird. Das Unternehmen legt bei sei-
nen Führungskräften Wert auf Verfügbarkeit und Präsenz.
Fazit:
Für Barbara W. ist die Karriere wichtig und die Familie
zentral. Sie ist erfolgreich in einem männlich dominierten
Umfeld, aber die Ambivalenz des Unternehmens und seine
zwiespältige Orientierung gegenüber „Gender Diversity“
kosten viel Kraft und erzeugen eine nicht geringe Frustra-
tion. Zwar braucht ihre Branche Innovation und Flexibilität
bei Führungskräften und Mitarbeitern, aber tatsächlich ist
in der Führungsriege Diversity nicht verankert. Außerdem
herrscht im Unternehmen offensichtlich die Überzeugung,
dass Familienorientierung nur Nicht-Führungskräften
erlaubt ist. Im Coaching ist es entscheidend, sie darin zu
unterstützen, dass sie nicht wie im Unternehmen vorge-
lebt zwischen Karriere oder Familie wählen muss, sondern
beide mit gleicher Intensität verfolgen darf. Mit der erarbei-
teten Strategie gelingt es ihr, in intensiven Verhandlungen
mit ihrem Unternehmen die Regeln zur Vereinbarkeit von
Familie und Beruf mit einer flexiblen Vier-Tage-Woche bei
gleichem Gehalt als Geschäftsführerin erfolgreich durchzu-
setzen. Damit wirkt sie kulturverändernd: Auch ihre männ-
lichen Kollegen haben die Vorzüge dieses Modells erkannt.
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