wirtschaft und weiterbildung 10/2015 - page 37

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wirtschaft + weiterbildung
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• Das Selbstbild, das leider meist defizi-
tär ist, weil der Richter ja genau in den
kritischen Momenten hinhört, wenn
wir zum Beispiel von der Mutter aus-
geschimpft werden oder alle über unse-
ren missglückten Purzelbaum lachen.
• Das Weltbild, das sich aus den Eindrü-
cken der damaligen unmittelbaren Um-
welt und dem Weltbild der Erziehungs-
personen definiert. Es beinhaltet eine
Vorstellung davon, ob das Leben oder
andere Menschen eher freundlich oder
feindlich, nährend oder bedürftig sind
und um was es im Leben geht.
• Und schließlich die sogenannte Objekt-
beziehung, die definiert, wie Rolle und
Regeln sind, die der Mensch mit die-
sem Selbstbild in dieser Welt (Weltbild)
zu befolgen hat, um klarzukommen.
Dieses Set an Definitionen bestimmt
den Rest des Lebens, wenn man diese
Konstrukte nicht bewusst enttarnt. Der
Richter will in jedem Fall an diesen Kon-
strukten festhalten. Sie sind seine Exis-
tenzgrundlage und er sieht sie als Exis-
tenzgrundlage des Ichs an. Es braucht
im Coaching ein besonderes Augenmerk
darauf, wie der Richter versucht, wider
alle Erkenntnis zu diesen Konstrukten
zurückzuführen. Manchmal ist schon die
Haltung „Ich will keine Psychologie im
Coaching“ ein Abwehrmechanismus des
Richters, der sich und die innere Orien-
tierung, die er bietet, weder enttarnt noch
herausgefordert haben möchte.
Die Erhebung
Im Coaching ermitteln wir die Kon­
strukte aus den inneren Kommentaren
des Richters. Dazu erforschen wir den
Teil der Kommentare, der nicht bewusst
hinterfragt wird. Zum Beispiel bei Chris-
tinas Vorgaben mit der Frage: „Wer ist
diese Person, die nett und freundlich
sein muss und Erwartungen nicht enttäu-
schen darf?“ Oder: „Was passiert, wenn
Sie Konfrontationen und Konflikte nicht
vermeiden?“ Das aktuelle Bewusstsein
wird vielleicht antworten „Na, ich halt.“
Oder: „Dann wird‘s nicht gut.“ Wir wol-
len es aber genauer wissen: „Was denkt
der Richter, was dann passiert?“ In Chris-
tinas Fall wurde klar, dass der Richter sie
als „nicht gemocht, unbeliebt, einsam“
definiert, wenn sie so handelt, wie sie
eigentlich fühlt. Bezüglich der Konflikt-
Regel wurde klar, dass er sie zusätzlich
als „schwächer als andere“ definiert.
Hier sind wir am Kern des geschwächten
Selbstbewusstseins von Christina.
Der Realitätscheck
Wir begegnen den Konstrukten nicht
mit neuen Definitionen oder gar einem
Think-Pink-Ansatz. Es ist hilfreich,
dem Richter nicht mit Schläue, sondern
mit Respekt und Fairness zu begegnen.
Manchmal muss zunächst dies sehr
deutlich vom Coach und vom Coachee
versprochen werden, bevor irgendetwas
bearbeitet werden kann. Das Selbst, die
Welt und die Interaktionen sind viel zu
komplex, um sie in jegliche Definition zu
reduzieren. Wir wollen also keine neuen
Konstrukte erarbeiten, nur die aktuellen –
oder besser gesagt: die alten – entdecken
und überprüfen. Hierzu ist die Aufgabe
hilfreich, bis zum nächsten Coaching in
ein bis zwei Wochen die letzten zehn
Jahre Revue passieren zu lassen und ehr-
lich und ernsthaft zu prüfen, wann zu-
traf, was in den Konstrukten des Richters
Innerer Richter.
Unsere
Selbstaufpasser-
Instanz will doch nur
„helfen“.
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