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HR-Management
personalmagazin 09.18
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ten Kapitals zu dessen Nutzen ausdrückt. Der IGA-Report 28
zeigt einen durchschnittlichen, positiven ROI von 1 zu 2,73 auf,
welcher sich jedoch nur auf die Senkung krankheitsbedingter
Fehlzeiten bezieht.
Kennzahl Fehlzeiten: Beliebt und unzuverlässig
Auch wenn der Krankenstand als wenig zuverlässige Kennzahl
zur Gesundheitssituation im Unternehmen gilt, wird er immer
wieder als der „Key Performance Indicator“ (KPI), also als die
entscheidende Messgröße, herangezogen. Insbesondere Indust-
rieunternehmen favorisieren die Nutzung, da der Krankenstand
letztlich nachweislich ausdrückt, wie viele Personen zu einem
Zeitpunkt oder Zeitraum nicht tätig sind, gleichzeitig aber eine
Lohnfortzahlung erhalten. Kritiker argumentieren, dass die An-
wesenheit eines Mitarbeiters nicht mit Leistung gleichgesetzt
werden kann, weshalb parallel dazu der Präsentismus beachtet
werden müsse. Dieser definiert sich durch „anwesend trotz
Erkrankung“ und hat nicht selten höhere Krankenstände zur
Folge, was sich bei der alljährlichen Grippewelle im Frühjahr
zeigt. Kranke stecken Gesunde an, oft durch falsch verstandene
Loyalität zum Unternehmen.
Die Messung von Präsentismus gelingt nur bedingt, in der
Regel durch Befragung. Ihn als gut messbare Kennzahl in einem
BGM zu verwenden, wird eher nicht gelingen, weshalb der Kran-
kenstand vorerst die relevante Kennzahl bleibt.
Wer aber seine Entwicklung und auch die Möglichkeiten
einer Senkung respektive einer Vermeidung eines Anstiegs ab-
schätzen möchte, muss keinen Blick in die Glaskugel werfen.
Mit dem Ergebnis der Status-quo-Betrachtung, einem Blick in
die Entwicklung der Krankenstände in den vergangenen fünf
Jahren sowie einer Demografieanalyse für die kommenden fünf
bis zehn Jahre, einer statistischen Prüfung des Zusammenhangs
zwischen Alter und Krankenstand und nicht zuletzt der Er-
fahrung von BGM-Experten lässt sich sehr wohl eine Prognose
erstellen.
Die Krankenstände für die kommenden Jahre ohne und mit
BGM, deren Lohnfortzahlungskosten sowie gegenübergestellt
die Kosten eines BGM, ermöglichen letztlich eine Kosten-Nut-
zen-Berechnung für die kommenden Jahre.
Bislang gelingt eine solche ROI-Prognose nur durch Verwen-
dung des Krankenstandes. Für den Einbezug weicher Faktoren
wie Arbeitszufriedenheit, Verbundenheit mit dem Unternehmen,
Qualitätsbewusstsein, körperliche und mentale Leistungsfähig-
keit beziehunsgweise die Bereitschaft, diese auch einzubringen,
bedarf es noch weiterer Forschung. Zwar existieren heute schon
Studien, die den Zusammenhang zwischen weichen Faktoren
und ökonomischen Konsequenzen darlegen, jedoch ermöglichen
diese vorerst nur eine Argumentation gegenüber der Geschäfts-
führung im Hinblick auf die Ursachen für Krankenstände, Un-
fälle und Fluktuation.
Wirkungsketten im BGM aufzeigen
Um letztlich die gesetzten Ziele eines BGM erreichen zu können,
müssen nun Maßnahmen erfolgen, deren Wirkung auch einen
Beitrag zur Zielerreichung leistet. So wären Präventionskurse,
Gesundheitstage, Check-ups, BEM oder Führungsprogramme
hinsichtlich ihrer Wirkung und ihres ableitbaren Wertbeitrags
zur Erreichung der BGM-Ziele wie Erhalt der Arbeitsfähigkeit
oder Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität zu prüfen.
Hierbei gilt es, Wirkungsketten für alle zur Zielerreichung beson-
ders relevanten Handlungsfelder aufzuzeigen, da sie als Argumen-
Kennzahlensystem für ein BGM
Oft wird der Ruf nach Aufbau eines Kennzahlensystems
schon laut, bevor Ziele definiert und Strukturen ange-
legt sind. Bleiben Sie cool und arbeiten Sie Schritt für
Schritt. Konzipieren Sie zunächst das BGM, das Kenn-
zahlenkonzept kann involviert werden. Dafür bieten sich
Strategietage an: Dabei werden der Status quo im Un-
ternehmen bewertet, die Ziele des BGM definiert und
die notwenigen Handlungsfelder festgelegt. Dabei kön-
nen auch die ersten Kennzahlen für das BGM identi-
fiziert werden, die Ausgestaltung ist hochindividuell.
Geklärt werden muss auch die Funktion des Kennzahlen-
systems, beispielsweise:
Sensibilisierung der Führungskräfte zur Planung weiterer
Schritte
Bericht an die Geschäftsleitung (Status quo, KPIs)
Überblick der internen BGM-Verantwortlichen über die
wesentlichen Zahlen zur Planung, Steuerung und Kontrolle
des BGM
Zur Visualisierung eignet sich ein Cockpit, bei dem die we-
sentlichen Parameter übersichtlich, im Idealfall mit Bewer-
tung nach dem Ampelsystem angezeigt werden. Außer KPIs
lassen sich aus der kriterienbasierten Systembewertung
sowie aus den Wirkungsketten der Handlungsfelder wei-
tere Kennzahlen zur Steuerung und Kontrolle finden. Sind
die Ziele für das Kennzahlensystem definiert, die relevanten
Messgrößen und die Visualisierungsform geklärt, bleibt zu
hoffen, dass die IT im Unternehmen einen freien Slot zur
Programmierung des Systems findet.
Der Krankenstand als
Kennzahl sagt wenig aus,
denn Anwesenheit ist
noch keine Arbeitsleistung.
Präsentismus aber lässt
sich kaum messen.
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