personalmagazin 9/2018 - page 98

HR-Management
personalmagazin 09.18
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chen Bereich auf alle Verträge „am Arbeitsplatz“ ausgedehnt, weil
er diesen Ausdruck unreflektiert in das BGB übernommen hat.
Ein merkwürdiges Ergebnis, welches unterstellt, dass Mitarbei-
ter überrascht werden, wenn ihnen „ausgerechnet im Betrieb“ das
Angebot für einen Aufhebungsvertrag gemacht wird. Daher lautete
auch die rhetorische Frage vieler Fachleute: Wo, wenn nicht am
Arbeitsplatz, solle man einen finalen und nicht unter dem Vor-
behalt eines späteren Widerrufs stehenden Aufhebungsvertrag
abschließen? Sollten Arbeitgeber tatsächlich tunlichst den Betrieb
verlassen und die Unterschrift explizit außerhalb einholen?
Die Arbeitsgerichte versuchten die Panne des Gesetzgebers
pragmatisch zu lösen und legten den Begriff „am Arbeitsplatz“
entsprechend aus: Die widerrufsfreie Unterschrift sei immer
außerhalb des persönlichen Arbeitsbereichs des Mitarbeiters
möglich, also zum Beispiel im Büro des Personalleiters. Die
grundsätzliche Leitlinie zurrte dann jedoch das Bundesarbeits-
gericht (BAG) in der Entscheidung vom 27. November 2003 (Az.
2 AZR 177/03) fest. Die Richter urteilten, dass der Begriff des
„Arbeitsplatzes” zwar weit zu verstehen sei und das gesamte Be-
triebsgelände einschließlich der Personalabteilung umfasse. Der
Abschluss einer arbeitsrechtlichen Beendigungsvereinbarung
im Betrieb erfolge aber für den Arbeitnehmer nicht an einem
„fremden”, für das abzuschließende Rechtsgeschäft atypischen
Ort. Es fehle also das situationstypische Überraschungsmoment.
Im Gegenteil argumentierten BAG-Richter gegen den Gesetzes-
wortlaut: Der Arbeitnehmer wisse genau, dass die das Arbeits-
verhältnis betreffenden Fragen im Betrieb geregelt werden. Er
rechne sogar damit.
Die „verschlimmbesserte“ Gesetzesänderung
Wer sich einmal einen groben Fehler erlaubt hat, dem sollte
dies kein zweites Mal passieren. Dass diese Lebensweisheit auch
für parlamentarische Gremien nicht durchgängig gilt, zeigte
sich 2014, als die Verbraucherschutzvorschriften des BGB auf-
grund europarechtlicher Vorgaben erneut reformiert wurden.
Vordergründig schien es, das Parlament hätte das Problem des
Widerrufs am Arbeitsplatz erkannt und gelöst. In der aktuel-
len Terminologie der Verbrauchervorschriften bezieht sich das
Widerrufsrecht nunmehr auf alle Verträge, die „außerhalb von
Geschäftsräumen“ abgeschlossen werden.
Das führt bei wörtlicher Anwendung jedoch zu neuen skurrilen
Fragen bei arbeitsrechtlichen Fällen: Plötzlich scheint das Unter-
zeichnen von Aufhebungsverträgen im Betrieb die sicherste
Variante zu sein. Ganz im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage
zieht dagegen die Unterschrift unter einen Aufhebungsvertrag in
externer Umgebung, beispielsweise im Rahmen von Aufhebungs-
verhandlungen in einer Anwaltskanzlei oder dem Konferenz-
raum eines Hotels, generell das Risiko des Widerrufs nach sich.
Gerichte beginnen wieder von vorne
All diese Fragen wären der Praxis erspart geblieben, wenn das
Parlament bei der neuerlichen Änderung des Gesetzes die Ge-
legenheit ergriffen hätte, diese zu einer Klarstellung bei der
Anwendung von Verbraucherrechten auf Arbeitsverträge zu
nutzen. Stattdessen helfen die bisherigen Antworten zu den Aus-
legungsfragen wenig weiter und die Suche nach Lösungen geht
wieder von vorne los. Erneut muss der Weg durch die Instanzen
angetreten werden, bis das BAG wieder darüber entscheidet, ob
Aufhebungsverträge generell und auch nach der neuen Geset-
zesfassung einem Widerrufsrecht zugänglich sind – oder nicht.
Die Gelegenheit dazu wird es schon demnächst haben, denn
der Streit um den neuen Gesetzeswortlaut hat mittlerweile das
Landesarbeitsgericht Niedersachsen erreicht. Die Landesarbeits-
richter haben in der Entscheidung ausdrücklich die Revision
zum BAG zugelassen.
Chronologie einer Gesetzespanne
2002
Der Gesetzgeber integriert das Haustürwiderrufsgesetz in das BGB. Damit
konfrontiert er die arbeitsrechtliche Praxis mit den Besonderheiten von Haus-
türgeschäften, die nach § 612 BGB (alte Fassung) auch ausdrücklich auf Ver-
tragsabschlüsse „am Arbeitsplatz“ anzuwenden waren. Das BAG entscheidet:
Ein Arbeitnehmer könne zwar Verbraucher sein, dennoch sei die Vorschrift
des § 612 BGB a. F. auf Aufhebungsverträge nicht anzuwenden.
2014
Das Gesetz wird erneut geändert. Der Gesetzgeber nutzt jedoch nicht die
Gelegenheit, den arbeitsrechtlichen Bereich auszuschließen. Zwar wird der
Arbeitsplatz nicht mehr als Ort eines Haustürgeschäfts genannt, allerdings
wird der Begriff anderweitig erweitert. Ein Widerrufsrecht besteht seitdem
bei „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“.
2017
Das LAG Niedersachsen entscheidet als erste Berufungsinstanz über die Fol-
gen der erneuten Gesetzespanne und lässt die Revision zum BAG zu.
THOMAS MUSCHIOL ist Rechtsanwalt
im Arbeits- und betrieblichen
Sozialversicherungsrecht in Freiburg.
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