personalmagazin 9/2018 - page 104

Kündigen Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis innerhalb der
ersten drei Monate des Kalenderjahres selbst, beabsichtigen Ar-
beitgeber – unter Verweis auf eine Rückzahlungsklausel – nicht
selten, bei der Schlussabrechnung mit der am Ende des Vorjahres
ausbezahlten Sondervergütung aufzurechnen. Häufig müssen
sich die Arbeitsgerichte bei daraus entstehenden Streitigkeiten
fragen, ob eine wirksame Basis für ein derartiges Rückzahlungs-
verlangen besteht. Eine Voraussetzung dafür ist: Der Arbeitgeber
hat durch die Zahlung einer Sonderzuwendung das Ziel verfolgt,
dass der Mitarbeiter dem Unternehmen treu bleibt. Die Rückzah-
lungsverpflichtung soll den Arbeitnehmer also davon abhalten,
sein Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung zu beenden. Ein
weiterer Aspekt: Eine vollständige Rückzahlungsverpflichtung
der Sonderzahlung ist zumindest dann legal, wenn bis zum 31.
März des Folgejahres eine Eigenkündigung ausgesprochen wird.
Rückzahlungsverpflichtungen zu einem späteren Zeitpunkt sind
bei entsprechend reduzierter Rückzahlung ebenfalls möglich.
Der AGB-Prolog: Warum wirksame
Rückzahlungsklauseln schwierig sind
Warum in einer Vielzahl von Fällen Rückzahlungsklauseln den-
noch für unwirksam erklärt werden, hängt – wieder einmal – mit
der Pflicht zusammen, arbeitsvertragliche Klauseln anhand
des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu
prüfen. Dafür wird zunächst ermittelt, ob sich das Ziel der Son-
derzahlung, nämlich die künftige Betriebstreue zu belohnen,
unzweifelhaft aus der konkreten vertraglichen Abrede ergibt.
Das Problem dabei: Selten wird die Betriebstreue als alleiniger
Grund der Gratifikation genannt. Vielmehr besteht häufig eine
sogenannte Mischabrede, etwa durch folgende einzelvertragliche
Formulierung: „Mit dieser Sonderzuwendung wollen wir sowohl
Ihre guten Leistungen aus der Vergangenheit anerkennen als
auch der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass Sie auch in Zukunft
unserem Unternehmen verbunden bleiben.“ Derartige Formulie-
rungen bedeuten im Rahmen der AGB-Prüfung oft das Aus für
eine Rückzahlungsvereinbarung. Denn vertragliche Klauseln,
die keine eindeutige Zuordnung zulassen, sind „unklare For-
mulierungen“ im Sinne des AGB-Rechts. Sie können wegen des
Verbots der geltungserhaltenden Reduktion auch nicht auf ein
zulässiges Maß reduziert werden. Daher ist die Rückforderung
von Weihnachtsgeld auch nicht für einen Teilbetrag möglich. Der
Arbeitgeber wird so behandelt, wie wenn er keine Erklärung über
den Sinn und Zweck der Sonderzuwendung abgegeben hätte.
Der Kern: Auch bei einer Bezugnahme
gehören Tarifverträge zur AGB-freien Zone
Diese Besonderheiten der AGB-Prüfung, das hat das BAG jetzt
eindeutig entschieden, gelten jedoch nicht, wenn sich der Arbeit-
geber auf eine tarifliche Rückzahlungsregelung beruft. Dabei,
erklärt das BAG quasi „en passant“, komme es nicht darauf an, ob
Arbeitgeber und Arbeitnehmer direkt tarifgebunden sind – durch
die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband (oder durch
einen Firmentarifvertrag) und die Gewerkschaftszugehörigkeit
des Arbeitnehmers. Vielmehr erweiterte das BAG im konkreten
Fall die AGB-freie Zone ausdrücklich auch auf den Sachverhalt,
in dem der Tarifvertrag lediglich „kraft einzelvertraglicher In-
bezugnahme“ Anwendung findet.
Auf die bisherige BAG-Rechtsprechung verweisend, wieder-
holen die Bundesrichter: Tarifverträge unterliegen nicht dem
AGB-Recht. Es sei daher lediglich zu prüfen, ob sie gegen höher-
rangiges Recht verstoßen – also gegen die Verfassung, zwingen-
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Juni 2018,
Az. 10 AZR 290/17
WEITERE ENTSCHEIDUNGEN
IN DIESEM MONAT
Ausschlussfrist durch Verhandlungen gehemmt
Eine zweistufige Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag ver-
langt neben der schriftlichen auch die gerichtliche Gel-
tendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis.
Kommt es zu vorgerichtlichen Vergleichsverhandlungen,
wird die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung ge-
hemmt, entschied das BAG (Urteil vom 20.6.2018, Az: 5
AZR 262/17).
Tarifliche Ausschlussfrist gilt nicht für Mindestlohn
Auch nach Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist haben
Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung
im Krankheitsfall – wenn auch nur auf Basis des Min-
destlohns. Entsprechend erklärte das BAG (Urteil vom
20.6.2018, Az. 5 AZR 377/17) eine tarifliche Ausschlussfrist
teilweise – den Mindestlohn betreffend – für unwirksam.
Illustration: Lea Dohle
AGB-freie
Zone
Entfällt die AGB-Prüfung auch bei
der Inbezugnahme von tariflichen
Rückzahlungsklauseln?
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HR-Management
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