personalmagazin 9/2018 - page 105

des Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragenden Grundsätze
des Arbeitsrechts. Im Ergebnis sind damit Mischabreden, die
auf tariflicher Basis beruhen, einer Rückzahlungsvereinbarung
zugänglich – ohne dass ermittelt werden muss, ob die Betriebs-
treue das ausschlaggebende Motiv für die Sonderzahlung war.
Die Argumente: Großer Gestaltungsspielraum
der Tarifvertragsparteien
Zwar hatte die Arbeitnehmerseite vorsorglich einen Verstoß
gegen höheres Gesetzesrecht in Form einer unzulässigen Be-
einträchtigung des Grundrechts auf Berufsfreiheit (Art. 12 GG)
vorgetragen. Diese Meinung teilte das BAG jedoch nicht. Der
Spielraum der Tarifvertragsparteien sei groß und die Rück-
zahlung von Gratifikationen stehe im Zusammenhang mit dem
übrigen tariflichen Entgeltsystem. Tarifliche Entgeltregelungen,
so begründet das BAG die Kompetenz der Tarifvertragsparteien
für derartige Regelungen, stellen ein Gesamtpaket dar, das aus
einem Geben und Nehmen besteht. Vor diesem Hintergrund
wurde die Rückzahlungsklausel für zulässig erachtet – auch
unter dem Aspekt, dass es sich um eine typische Leistung mit
Mischcharakter handele.
Im Ergebnis abgelehnt haben die Richter auch den soge-
nannten „Einwand der Entreicherung“ des Arbeitnehmers. Eine
juristische Spitzfindigkeit, mit der sich bereits die Vorinstanz
(LAG Baden-Württemberg, Az. 9 SA 12/17) befasst hatte. Flapsig
formuliert heißt dies: Der Arbeitnehmer behauptete, die Sonder-
zuwendung bereits verfrühstückt zu haben – zumindest einen
Teil davon. Der Arbeitgeber hatte nämlich bei seinen Schlussab-
rechnungen zunächst irrtümlich zu wenig einbehalten und erst
später noch einen Restbetrag von 493 Euro nachgefordert. Für
den Fall, dass ein Arbeitgeber irrtümlich einmal zu viel Lohn aus-
bezahlt, ist dies ein Argument. Schließlich kann ein Schuldner,
auch wenn eine Geldleistung ohne Rechtsgrund erbracht wurde,
einwenden (nach den Vorschriften des § 818 Abs. 3 BGB), dass er
die Leistung verbraucht habe.
Dass dieser Einwand in derartigen Fällen nicht zieht, zeigen
jedoch bereits die Urteilsgründe der Vorinstanz, die erneut auf
THOMAS MUSCHIOL ist Rechtsanwalt
im Arbeits- und betrieblichen
Sozialversicherungsrecht in Freiburg.
die tarifliche Grundlage abstellen. Soweit eine tarifvertragliche
Rückzahlungsklausel existiert, argumentierte das LAG, kann
ihr nicht der Entreicherungseinwand entgegengesetzt werden.
Schließlich sei der Zahlungsanspruch normtechnisch nicht auf
das Bereicherungsrecht, sondern auf den tarifvertraglichen
Rückgewährungsanspruch zurückzuführen.
Dennoch: Tarifliche Rückzahlungsklauseln
sind keine Kopiervorlage
Die Entscheidung des BAG zeigt erneut, dass es nicht zwingend
einer normativen Tarifvertragsbindung bedarf. Auch die ein-
zelvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag kann ein
probates Mittel sein, die schwierigen Auslegungsregeln des AGB-
Rechts zu vermeiden. In diesem Zusammenhang können sodann
auch Mischabreden mit einer Rückzahlungsverpflichtung verse-
hen werden. Für Unternehmen, die auf rein individualrechtliche
Vereinbarungen setzen, enthält das Urteil aber einmal mehr den
Hinweis: Rückzahlungsklauseln sind nur zu vereinbaren, wenn
sich aus dem Wortlaut eindeutig ergibt, dass die Zahlung allein
im Hinblick auf eine künftige Betriebstreue erfolgt.
Zudem bedeutet die Entscheidung nicht, dass eine tarifliche
Rückzahlungsklausel prinzipiell eine geschickte Formulierung
und damit eine bessere „Kopiervorlage“ ist. Wer dies denkt, für
den hat das BAG vielmehr folgenden Warnhinweis parat: „Die
Rückzahlungsregelung wäre nach der Rechtsprechung des Se-
nats allerdings unwirksam, wenn sie als arbeitsvertragliche
allgemeine Geschäftsbedingung einer Klauselkontrolle nach
§ 307 Abs. 1 BGB zu unterziehen wäre.“
Urteil des Monats
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