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ORGANISATION
_SELBSTSTÄNDIGE UND HR
personalmagazin 01/18
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
nicht betroffen ansehen. In den Freitext
antworten kritisieren die Befragungs-
teilnehmer jedoch die zunehmende
Rechtsunsicherheit.
Der Blick in die Zukunft
Für die Zukunft haben lediglich 23
Prozent der befragten Unternehmen
Pläne oder konkrete Projekte, den Um-
gang mit Selbstständigen zu ändern.
Als hauptsächlichen Grund nennen die
Personaler keinen Veränderungsbedarf.
Liegen doch Veränderungspläne vor, so
ist das laut den Freitextantworten unter
anderem durch die unsichere Rechtsla-
ge, eine Risikominimierung in Sachen
Scheinselbstständigkeit oder sozialver-
sicherungsrechtliche Probleme bedingt.
Ob der zunehmende Fachkräfteman-
gel in Zukunft zu einer Ausweitung der
Zusammenarbeit mit Selbstständigen
führen wird – darüber besteht Uneinig-
keit: 51 Prozent der Befragten sind der
Ansicht, dass sie aufgrund des Fachkräf-
temangels mehr Selbstständige beauf-
tragen werden. 49 Prozent sagen genau
das Gegenteil.
Zusammenfassend überrascht die
Sicht der Unternehmen auf das Thema
Selbstständigkeit: Zwar setzen die mei-
sten Firmen Selbstständige ein – gera-
de in Bereichen, in denen kein eigenes
Know-how vorhanden ist oder in denen
der Arbeitsmarkt nicht genügend Spezi-
alisten hergibt. Aber anstatt ihre Work-
force zu flexibilisieren und somit auf
Anforderungen des Arbeitsmarkts und
des digitalen Wandels zu reagieren, hat
die Mehrheit der Personalmanager nur
die Rechtslage im Fokus. Die Risiken
der Scheinselbstständigkeit wiegen für
die befragten HR-Abteilungen offenbar
schwerer als die Vorteile der Flexibili-
tät. Der freiberufliche IT-Fachmann, die
freie Trainerin und der externe Projekt-
manager werden also wohl auch in Zu-
kunft weitgehend Unbekannte für die
HR-Bereiche bleiben – obwohl bei Per-
sonalmanagern ein positives Bild der
Selbstständigkeit überwiegt: unabhän-
gig, frei und flexibel.
Der Übergang von selbstständiger Tätigkeit zu abhängiger Beschäftigung kann flie-
ßend sein. Klar dagegen sind die Folgen der Scheinselbstständigkeit – und teuer.
Stellt sich – meist nachträglich – heraus, dass zum Beispiel ein angeblich freier Mit-
arbeiter nach der Art der Tätigkeit und Einbindung in den Arbeitsablauf eigentlich
als abhängig Beschäftigter einzuordnen ist, spricht man üblicherweise von Schein-
selbstständigkeit. Dabei ist die Abgrenzung zwischen „selbstständig“ und „sozialver-
sicherungspflichtig beschäftigt“ nicht immer eindeutig, sondern das Ergebnis einer
Gesamtabwägung unterschiedlicher Kriterien. Letztlich kommt es darauf an, wie der
Betreffende in die Arbeitsorganisation eingegliedert ist, ob er seine Tätigkeit im We-
sentlichen frei ausführen kann, ob er Entscheidungen wie ein Unternehmer trifft oder
für entsprechende Risiken eintritt. Das Ergebnis dieser Einschätzung birgt gerade sozial-
versicherungsrechtlich ein Risiko: Beurteilt der Betriebsprüfer einen Selbstständigen als
abhängig Beschäftigten, folgen daraus Beitragsnachforderungen.
(mim)
Das Risiko der Scheinselbstständigkeit
PRAXISBEISPIEL
RECHT LAGE
Arbeitgeber konkurrieren auf dem Arbeitsmarkt nicht nur mit anderen Unternehmen,
sondern zunehmend auch mit dem Wettbewerber „Selbstständigkeit“. Das zeigt ein
Blick auf die Bewerberperspektive.
Dass Jobsuchende nicht unbedingt auf eine feste Stelle fixiert sind, offenbarte die
Bewerberbefragung innerhalb der doppelperspektivischen Umfrage „Selbstständigkeit
und HR“ von Softgarden und dem Personalmagazin. 2.121 Bewerber hatten im Juli 2017
teilgenommen: 82 Prozent davon sehen im Laufe ihres Berufslebens eine selbstständige
Tätigkeit als berufliche Alternative an. 36 Prozent der Befragten halten es für „wahr-
scheinlich“ oder „sehr wahrscheinlich“, dass sie irgendwann selbstständig arbeiten.
Besonders in Funktionen, in denen die Selbstständigkeit naheliegt und üblich ist, sollten
Personalverantwortliche diese Kandidatenhaltung ernst nehmen und sich die Frage
stellen, wie sie Selbstständige besser an das Unternehmen binden können.
Wie die Bewerberbefragung weiter zeigt, bleibt die Selbstständigkeit für die meisten
Kandidaten jedoch wohl nur ein Gedankenspiel, da sie auf die Sicherheit, die mit dem
Angestelltendasein verbunden ist, nicht verzichten wollen. Das Einkommen von Selbst-
ständigen wird von 89 Prozent der Befragten als „unsicher“ wahrgenommen. Allerdings
schätzen die Umfrageteilnehmer einiges an der Selbstständigkeit: insbesondere den
größeren Spielraum, eigene Ideen zu verwirklichen (77 Prozent), die Möglichkeit, in den
Genuss des eigenen Arbeitsergebnisses zu kommen (77 Prozent) sowie die Freiheit im
Arbeiten (70 Prozent) und die fehlende Gängelung durch Vorgesetzte (69 Prozent).
Mit diesen Angaben treten einige Defizite der abhängigen Beschäftigung zutage: Die
Befragten sind offenbar unzufrieden mit ihrer aktuellen Beschäftigungsform. Sie wollen
freier und selbstbestimmter arbeiten. Das erhöht den Druck auf die Arbeitgeber, an ihrer
Unternehmenskultur zu arbeiten und flexiblere sowie stärker zeit- und ortsunabhängige
Arbeitsformen zu entwickeln.
(dfu)
Selbstständigkeit als Alternative
BEWERBERPERSPEKTIVE