personalmagazin 10/2018 - page 83

spielsweise bei einer gerichtlichen Unter­
suchung – Fehler vermutet, geraten plötz­
lich Formalitäten in den Fokus. Über die
Tragweite möglicher Mängel in diesem
Zusammenhang machen sich beide Be­
triebsparteien meist keine Gedanken –
selbst wenn sie fehlerhafte Beschlüsse
schlicht in Kauf genommen haben.
Würde es im vorliegenden Fall an ei­
nem ordnungsgemäßen Beschluss des
Betriebsrats fehlen, so wäre die Mittei­
lung des Vorsitzenden rechtlich irrele­
vant. Der Arbeitgeber könnte sie somit
ignorieren. Grundsätzlich besteht zwar
die Möglichkeit für den Betriebsrat,
den Fehler nachträglich zu heilen. Dazu
müsste das Gremium jedoch einen neu­
en, ordnungsgemäßen Beschluss fassen.
Dieser wird aber häufig keine praktische
Wirkung entfalten können. Schließlich
dürfte sich die Angelegenheit meist in
der Zeit zwischen dem nichtigen und
ordnungsgemäßen Beschluss erledigt
haben.
Bleibt die Frage, wann ein Betriebsrats­
beschluss nicht mehr ordnungsgemäß
und damit nichtig ist. Nach der Recht­
sprechung des Bundesarbeitsgerichts
(BAG) ist dies dann der Fall, wenn gegen
die Verfahrensvorschriften, die für das
ordnungsgemäße Zustandekommen ei­
nes Beschlusses als zwingend anzusehen
sind, in grober Weise verstoßen wird (BAG
vom 23.8.1984, Az. 2 AZR 391/83).
Nachfolgend sollen daher sieben häu­
fige Verfahrensfehler erläutert werden,
die zu einem unwirksamen Betriebsrats­
beschluss führen.
Der Tagesordnungsfehler
Die Mitglieder des Betriebsrats sind unter
„Nennung der Tagesordnung einzuladen“
(§ 29 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Dagegen wird
nicht selten verstoßen. Zumindest taucht
so gut wie immer der Tagesordnungs­
punkt „Verschiedenes“ auf, unter dem
dann über die unterschiedlichsten Sach­
verhalte diskutiert wird. Bleibt es jedoch
nicht bei der Diskussion, sondern werden
auch Beschlüsse gefasst, so sind diese
unwirksam. Denn die Nennung in der
Tagesordnung ist eine wesentliche Ver­
fahrensvorschrift, deren Nichteinhaltung
die Nichtigkeit des Betriebsratsbeschlus­
ses zur Folge hat.
Der Beschluss kann zwar gerettet wer­
den. Dazu muss aber zunächst über die
Erweiterung der Tagesordnung förmlich
durch – einstimmigen – Beschluss ent­
schieden werden. Stimmt nur eines der
anwesenden Betriebsratsmitglieder da­
gegen, kann über die Sache selbst kein
wirksamer Beschluss mehr erfolgen.
Der Verhinderungsfehler
Ist ein Betriebsratsmitglied (zum Beispiel
wegen Krankheit oder Urlaub) verhindert,
so ist ein Ersatzmitglied zu laden. Ver­
hinderungsfälle liegen aber dann nicht
vor, wenn sich ein Betriebsratsmitglied
aus freien Stücken entscheidet, nicht
zur Betriebsratssitzung zu kommen. Auf
welchen Erwägungen die Nichtteilnahme
beruht, ist dabei unbeachtlich.
Kritisch sind vor allem jene Fälle, in
denen sich ein Betriebsratsmitglied gegen
eine Teilnahme entscheidet, weil es „ge­
rade so viel zu tun gibt“. Eine derartige
Entscheidung liegt zwar im erlaubten Er­
messen eines Betriebsratsmitglieds. Dies
darf jedoch mangels Verhinderung nicht
dazu führen, dass ein Ersatzmitglied be­
stellt wird. Andernfalls können – je nach
Abstimmungsverhalten des nicht stimm­
berechtigten Ersatzmitglieds – Beschlüs­
se für nichtig erklärt werden.
Effektivität in Eilfällen
In Eilfällen – zum Beispiel bei kurzfristig benötigten Entscheidun-
gen zu Überstunden – sind die formellen Voraussetzungen eines
ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses schwerlich einzu-
halten. Daher lässt das BetrVG zwei Möglichkeiten zu:
Delegation:
Es gibt die Möglichkeit, die Beschlussfähigkeit auf
Ausschussgröße zu reduzieren – und damit das fehleranfällige
und aufwendige Einladen des gesamten Gremiums zu vermei-
den. Dies funktioniert jedoch erst ab einer bestimmten Größe
des Gremiums (neun Mitglieder). Zudem hat der Arbeitgeber
keinen direkten Einfluss auf eine effektive Ausschussbildung.
Er kann lediglich Überzeugungsarbeit leisten, bestimmte Auf-
gaben zur selbstständigen Erledigung an einen Ausschuss zu
delegieren.
Standards:
Es gibt die Möglichkeit, bestimmte Sachverhalte zu
standardisieren und damit eine Zustimmung für vordefinierte
Fallgestaltungen zu erreichen. Das Zauberwort heißt Betriebsver-
einbarung, die auch vom Arbeitgeber initiiert und durch Anrufung
der Einigungsstelle durchgesetzt werden kann. Insbesondere bei
Überstunden sollte dies eine Pflichtaufgabe sein.
Das gilt übrigens ebenso für den um­
gekehrten Fall, wenn es bei einer echten
Verhinderung versäumt wird, ein Ersatz­
mitglied zu laden. Auch dies ist ein for­
meller Fehler, der zu nichtigen Beschlüs­
sen führen kann.
Der Delegationsfehler
Was aber, wenn ein Betriebsrat seine Ar­
beit derart organisiert, dass nicht immer
das gesamte Gremium entscheiden muss,
sondern wirksame Beschlüsse auch an
Ausschüsse delegiert werden? Was sich
zunächst klug anhört, hat in der Praxis
häufig zwei Fehlerquellen, die zur Nich­
tigkeit von derartigen Beschlüssen der
Ausschüsse führen können.
So ist zu beachten, dass derartige De­
legationen grundsätzlich nur ab einer
Gremiumsgröße von neun Betriebsrä­
ten möglich sind. Dann besteht sogar
die Pflicht, mindestens einen Ausschuss
– nämlich den sogenannten Betriebs­
ausschuss – zu bilden. Unterhalb dieser
Schwelle ist es zwar ebenfalls möglich
und oft auch sinnvoll, mit Ausschüssen
zu operieren. Diese können jedoch keine
beschlussfähigen Gremien sein.
Mitbestimmung
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