personalmagazin 10/2018 - page 92

Nur weil es der Gesetzgeber den Betriebsparteien aufgibt, vertrau-
ensvoll zusammenzuarbeiten, klappt dies längst nicht immer. Das
zeigt auch ein Beispiel eines Arbeitgebers, bei dem die Einführung
eines Personalentwicklungsinstruments beinahe am Misstrauen
beider Seiten gescheitert wäre.
Von der amerikanischen Konzernmutter erhielt der Arbeit-
geber, ein Industrieunternehmen, folgende Vorgabe: Noch im
laufenden Jahr und für alle Mitarbeiter am Standort sollte er
eine Verhaltenskompetenzbewertung zur Personalentwicklung
einführen. Da der Betriebsrat Entwicklungsthemen grundsätzlich
begrüßte, waren Schwierigkeiten zunächst nicht zu erwarten.
Allerdings: Keiner – auch nicht der Ar-
beitgeber – konnte die Auswirkungen der
„Bewertung“ in der Praxis abschätzen.
Daher waren die Betriebsratsmitglieder
doch skeptisch gegenüber dem neuen
Ansatz. Diese Skepsis verstärkte sich, als
die Konzernmutter darauf drängte, die
Kompetenzbeurteilung direkt für alle
Mitarbeiter einzuführen.
Daher war der Versuch von Arbeitgeber
und Betriebsrat, gemeinsam eine Lösung
zu finden, auch von Misstrauen geprägt.
Der Betriebsrat verstand die Aussagen
des Arbeitgebers so, dass zu dem The-
ma schnellstmöglich für alle Mitarbeiter
eine unbefristete Betriebsvereinbarung
abzuschließen sei. Der Arbeitgeber inter-
pretierte das Vorgehen des Betriebsrats
derart, dass das Gremium in jedem Fall
das Thema blockiere. So verstrickten sich beide Betriebsparteien
in ihren Argumentationen. Weil aber keiner sein Anliegen trans-
parent kommunizierte, erkannte auch keiner den gemeinsamen
Nenner: Die Bewertungen im ersten Schritt für alle Mitarbeiter
einzuführen, das hielten letztlich beide Seiten für nicht sinnvoll.
Wie so häufig fehlte jedoch der Mut, sich offen auszutauschen.
Die Folge war Misstrauen zwischen Arbeitgeber und Betriebs-
rat – und das, obwohl der Gesetzgeber doch in § 2 des Betriebs-
verfassungsgesetzes die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ zwi-
schen beiden Seiten verlangt. Gut übersetzen lässt sich diese
Vorgabe mit einem Grundverständnis von Fairness, gegenseitiger
Rücksichtnahme, Ehrlichkeit, Transparenz und Offenheit im
Miteinander. Alles eine gute Basis für Vertrauen. Nicht selten
fehlt diese Basis jedoch in der Betriebspraxis. So versuchen die
Betriebsparteien oft, diese Vertrauensbasis lediglich mit dem
vom Gesetzgeber vorgesehenen Monatsgespräch zu erreichen.
Sie verlassen sich darauf, dass ein einzelnes Gespräch imMonat
reicht, um vertrauensvoll miteinander zu arbeiten. Statt jedoch
selbst mutig und abseits des Lagerdenkens vorzugehen, um erste
Samen für ein vertrauensvolles Miteinander zu säen, fordern die
Betriebsparteien häufig eben jenes Vertrauen. Aussagen wie „Ich
vermisse an der Stelle eine vertrauensvolle Zusammenarbeit“
genügen jedoch nicht, um selbiges zu schaffen.
Auch im Fall der Verhaltenskompetenzbewertungen fehlten
zunächst Vertrauensbasis und Mut. Letztlich sahen jedoch beide
Betriebsparteien ein adäquates Vorgehen darin, die Kompetenz-
beurteilung in einer befristeten Betriebsvereinbarung zunächst
nur für die Team- und Abteilungsleiter einzuführen. Zudem ließ
es sich mit den Interessen der Konzernmutter vereinbaren, den
Rollout in verschiedenen Phasen umzu-
setzen. Obwohl die operative Auswirkung
also schwer abzuschätzen war, haben
beide Seiten doch eine gemeinsame und
ausgewogene Balance gefunden: zwi-
schen dem Risiko, im Vorfeld nicht alles
imDetail zu regeln, und der Chance, neue
und für den Betrieb sinnvolle Themen
offen anzugehen. Der Entschluss zu Re-
gelungen für eine „agile Testumgebung“
waren vertrauensbildende Maßnahmen.
Nach dem gemeinsamen Lernen können
Betriebsrat und Arbeitgeber die Auswir-
kungen erörtern und abschließende Re-
gelungen formulieren.
Das Pilotprojekt hat also beiden Seiten
die Möglichkeit gegeben, Vertrauen zu
zeigen und zu erhalten. Ähnlich wie im
persönlichen Leben entsteht Vertrauen
nicht durch eine Definition im Gesetz, sondern durch das täg-
liche Miteinander. Dabei spielen Verlässlichkeit, Verantwor-
tungsbewusstsein, Verständlichkeit und Verbindlichkeit eine
zentrale Rolle. Gerade eine offene Kommunikation stärkt das
Vertrauen, die verständliche Sprache – ohne englische „Buzz­
words“ – hilft, Unklares zu vermeiden. Für nötiges Vertrauen
bedarf es dieser Investition von Arbeitgeber wie Betriebsrat.
Ganz oder gar nicht:
Er vertraut mir, er vertraut mir nicht,
er vertraut mir…
MARCO HOLZAPFEL schreibt in der
Kolumne über die Zusammenarbeit von
Betriebsrat und Arbeitgeber. Der ehema­
lige Personalmanager und Gründer der
Beratung Betriebsdialog ist überzeugt,
dass fast alle Konflikte durch gute Kom­
munikation und Beteiligung zu lösen sind.
Illustration Lea Dohle
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Kolumne Klassenkampf
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