personalmagazin 10/2018 - page 96

„Über uns ist nur der blaue Himmel.“ Zu dieser süffisanten
Formulierung greifen mitunter Richter an den Landesarbeitsge-
richten (LAG), wenn sie außerhalb des Protokolls erläutern, dass
gegen ihre Entscheidung kein Rechtsmittel mehr vorgesehen ist.
Dieser Satz ist jedoch regelmäßig nicht zu hören, wenn ein LAG
von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) abwei-
chen will. Zwar ist jedes Gericht frei darin, von der BAG-Meinung
abzuweichen. Die Richter müssen dann aber damit rechnen, dass
die Entscheidung postwendend aufgehoben wird.
Einstellung mit Dienstplan-Argument blockiert
Um eine solch klare Abweichung von der BAG-Rechtsprechung
ging es im vorliegenden Fall. Die Münchener LAG-Richter hatten
sich an eine überaus heikle Frage gewagt: Kann der Betriebsrat
die Einstellung von neuen Mitarbeitern dadurch vorläufig ver-
hindern, dass er vorträgt, der Einsatz von neuen Mitarbeitern
löse eine Dienstplanänderung aus? Weil diese jedoch zwingend
mitbestimmungspflichtig ist, bedürfte es auch einer Einigung
über die Einstellungen – im Zweifel in der Einigungsstelle. Es
ging also um die Frage einer parallelen Anwendung der Einstel-
lungsvorschrift des § 99 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und
der echten Mitbestimmungsvorschrift des § 87 BetrVG.
Im entschiedenen Fall plante ein Arbeitgeber zur kurzfristigen
Deckung von Auftragsspitzen befristete Einstellungen bezie-
hungsweise Leiharbeitnehmereinsätze vorzunehmen, wogegen
der Betriebsrat im Rahmen des § 99 BetrVG sein Veto einlegte.
Bis hierhin kein ungewöhnlicher Vorgang, denn wenn eine
Zustimmung nach § 99 BetrVG nicht erfolgt, muss der Arbeit-
geber ein Zustimmungsersetzungsverfahren einleiten oder kann
als Zwischenlösung versuchen, die vorläufige Einstellung der
abgelehnten Mitarbeiter durch einstweilige Verfügung eines
Arbeitsgerichts zu erlangen.
Dieser Weg wurde aber durch den Betriebsrat auf eine andere
Spur gelenkt. Der Einsatz der neuen Mitarbeiter, so konterte der
Betriebsrat, sei zwingend mit einer Änderung des bestehenden
Schichtsystems verbunden, dass im Betrieb durch eine Betriebs-
vereinbarung festgelegt worden sei. Diese Änderung aber unter-
liege wiederum der zwingenden Mitbestimmung mit der Folge,
dass dem Arbeitgeber – bis zu Klärung durch ein Verfahren vor
der Einigungsstelle – per einstweiliger Anordnung verboten
werden könne, die Neueinstellungen vorzunehmen. Ist es aber
zulässig, bereits im Zusammenhang mit einer Einstellungsan-
frage nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtige „Dienstplan-
argumente“ vorzubringen und kann damit das Berufen auf den
§ 87 BetrVG dazu führen, Einstellungen zumindest vorläufig
zu blockieren? Nach Ansicht des BAG ja, denn nach der ent-
sprechenden „gefestigten“ höchstrichterlichen Rechtsprechung
sind beide Vorschriften unabhängig voneinander anwendbar.
Der LAG-Beschluss weicht vom BAG ab
Anders sah dies aber das LAG München. Zwar seien die §§ 87 und
99 BetrVG nach ihrem Wortlaut nebeneinander anzuwenden.
Diese parallele Geltung führe bei der erstmaligen Einstellung
LAG München, Beschluss vom 8.2.2018,
Az. 4 Ta BVGa 16/17
ZWEI PARAGRAFEN, ZWEI
KONFLIKTLÖSUNGSMODELLE
Einstellungen gemäß § 99 BetrVG
Bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeit-
geber und Betriebsrat über Einstellungen, sieht das Gesetz
das sogenannte Zustimmungsersetzungsverfahren vor. Das
Arbeitsgericht entscheidet, ob der Betriebsrat zu Recht
seine Zustimmung verweigert hat. Dieser Streit kann sich
möglicherweise über mehrere Instanzen hinziehen. Vorläu-
fige Einstellungen sind dabei grundsätzlich möglich.
Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten
gemäß § 87 BetrVG
Hier bleiben bei Meinungsverschiedenheiten die Gerichte
außen vor. Wird keine Einigung erzielt, so kann diese nur
durch die Einigungsstelle ersetzt werden. Vorläufige Maß-
nahmen sind hier nicht vorgesehen. Bis zur Entscheidung
der Einigungsstelle kann der Betriebsrat die Unterlassung
der Maßnahme durch gerichtliche Entscheidung anordnen
lassen.
Illustration: Lea Dohle
München
trickst
Erfurt aus
Ist die Mitbestimmungsvorschrift
des § 87 BetrVG im Zusammenhang
mit einer Einstellung nach § 99
BetrVG anzuwenden?
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