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PERSONALquarterly 03/17
SCHWERPUNKT
_HR-ANALYTICS
zu treffen: Wie wirkt die Einführung der Betriebsvereinba-
rung zum mobilen Arbeiten auf die Verbreitung und Nutzung
der Arbeitsform im Unternehmen? Welche weiteren Variablen
können Unterschiede in der Nutzung erklären?
Wie stark mobiles Arbeiten von der Belegschaft angenommen
wird, soll mittels einer unternehmensweiten Auswertung von
Nutzerdaten über einen Zeitraum von einem Jahr deutlich wer-
den. Zur Abschätzung des Effekts beginnt der Beobachtungs-
zeitraum sechs Monate vor der Einführung und endet sechs
Monate danach. Mit der Vorher-Nachher-Erfassung wird sicher-
gestellt, dass historische Nutzungsunterschiede kontrolliert
werden, da bereits vor Einführung der Betriebsvereinbarung
eine gewisse Variabilität in den Arbeitszeitsystemen bestand.
In der Stichprobe sind bei dieser Vorgehensweise alle Mitarbei-
tergruppen berücksichtigt, für die mobiles Arbeiten durch das
Zeiterfassungssystem zuverlässig ausgewertet werden kann.
Auch wenn das Vorgehen den Ansprüchen einer komplett ran-
domisierten Auswahl der Stichprobe nicht gerecht wird (da be-
stimmte Mitarbeitergruppen wie Angestellte im mittleren und
oberen Management etc. a priori nicht betrachtet werden – die
Arbeitszeiten werden nicht elektronisch erfasst), liefert es doch
eine breite und solide Datenbasis zu den prinzipiell beobacht-
baren Gruppen, in denen keine (oder nur vernachlässigbar we-
nige) willkürliche Ausschlüsse vorgenommen werden müssen.
Unsere ersten Analysen zeigen, dass sich die Anzahl der
Nutzer von mobiler Arbeit im ersten Monat nach der Einfüh-
rung der Betriebsvereinbarung annähernd verdoppelt hat.
Insbesondere der relative Effekt (Verdoppelung) ist beachtlich.
Ein zweiter Effekt wird sichtbar: Im zweiten Monat nach
Einführung der Betriebsvereinbarung steigen die Nutzungsin-
tensitäten wesentlich stärker als die Nutzerzahlen an. Mit an-
deren Worten: Die Trennung in Extensität (Anzahl der Nutzer)
und Intensität (Anzahl der mobil gearbeiteten Stunden) erlaubt
den Schluss, dass a) das Erlernen und Erleben der Regelung
offensichtlich über ein vorsichtiges Austesten erfolgt, und b)
aktuell noch nicht viele Mitarbeitergruppen mobiles Arbeiten
nutzen.
Insider Econometrics: Die Ergänzung der Datenbasis durch
Expertenwissen
Zahlen und statistische Analysen sind das eine, Fallkenntnis
ist etwas anderes. In der methodischen Literatur haben sich
in jüngerer Zeit vermehrt sogenannte „Insider Econometrics
Designs“ etabliert. Die Idee ist, dass Ergebnisse, die mit quan-
titativen Methoden gewonnen werden („Econometrics“) durch
tiefe und erfahrungsgestützte Fallkenntnisse quasi intern
(durch den Forscher selbst) validiert werden („Insider“). Über
die doppelte Vorgehensweise sollen Zahlenblindheit vermie-
den, Erkenntnisse erweitert und somit Interpretationshilfen
gewonnen werden. Audi hat sich entschieden, begleitend zur
Einführung unternehmensweit angelegte Ad-hoc-Interviews
(abseits der regelmäßigen Mitarbeiterbefragung) zu führen,
in denen sich der Eindruck bestätigte, dass mobiles Arbeiten
langsam und kontinuierlich von den Mitarbeitern zunächst
„ausgetestet“, dann als Gestaltungsoption des Arbeitsalltags
angenommen wird.
People Analytics kann besonders wertvolle Erkenntnisse
liefern, wenn verschiedene Datenbasen in Kombination aus-
gewertet werden. Im nächsten Schritt – über den wir an die-
ser Stelle noch nicht in der Form von Ergebnissen berichten
können – sollen die quantitativen Nutzungsdaten (auf aggre-
gierter Ebene) mit Daten der jährlichen Mitarbeiterbefragung
verknüpft werden. Auf dieser Datenbasis sollen Antworten auf
folgende Fragen gefunden werden:
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Ist die Nutzung von mobiler Arbeit auf Abteilungs- und
Gruppenebene prognostizierbar? Wenn ja, anhand welcher
Erklärungsgrößen?
3
Welcher Wirkmechanismus liegt dem Zusammenhang zu-
grunde? Welche Rolle spielen z.B. Führungskräfte?
3
Wiewirkt dieGruppen-/Teamzusammensetzung auf die indivi-
duelle Nutzungswahrscheinlichkeit? Lassen sich soziale Lern-
effekte und die generelle Rezeption im Unternehmen finden?
3
Welche praktischen Handlungsempfehlungen lassen sich
aus diesen Erkenntnissen ableiten, z.B. für die Entwicklung
und Einführung ähnlicher Projekte?
Hinweise auf systematische Nutzungsunterschiede und va-
riierende Verbreitungsmuster innerhalb des Unternehmens
sollen langfristig mittels teilstrukturierter Interviews tieferge-
hend analysiert werden. So soll mehr über die Hintergründe
und möglichen Ursachen für Unterschiede in der Diffusion
von mobiler Arbeit in Erfahrung gebracht werden. Erste An-
nahmen über Zusammenhänge, die die Verknüpfung der Nut-
zungsdaten mit den Mitarbeiterbefragungsdaten ergeben hat,
können so validiert werden.
Fazit
Der Blick in die Vergangenheit mittels der differenzierten
Auswertung von Nutzungsdaten ermöglicht es Audi, für die
Zukunft zu lernen: Sind Verbreitungsmuster und ihre Ursa-
chen bekannt, können darauf aufbauend gezielte Maßnahmen
entwickelt werden. Zudem kann über die Befundlage abge-
leitet werden, wie akzeptiert und relevant Maßnahmen zur
Flexibilisierung der Arbeitszeit der Mitarbeiter sind – wichtige
Erkenntnisse, die für die Einführung der weiteren Projekte der
„Audi Arbeitswelt“ von Bedeutung sein können. People-Analy-
tics-Projekte befinden sich oftmals noch in den Kinderschuhen.
Wissenschaftskooperationen, die die analytisch-methodische
Kompetenz der Wissenschaft mit der Datenvielfalt und den
strategischen Handlungsmöglichkeiten in den Unternehmen
verbinden, sind ein vielversprechender Ansatz, um die Ent-
scheidungsqualität im Personal- und Managementfeld allge-
mein zu verbessern.