Immobilienwirtschaft 2/2016 - page 15

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2.2016
bandes GdW, spricht bereits von einer
„Notlage bei der Versorgung mit Wohn-
raum, die sich in den kommenden Mona-
ten angesichts weiter steigender Zuwan-
derungsraten noch verschärfen wird“.
Schon jetzt fehlen nach GdW-Angaben
deutschlandweit 800.000 Wohnungen.
Gedaschko und andere führende Ver-
treter der Immobilienwirtschaft fordern
von der Politik deshalb eine Wohnungs-
bauoffensive und sprechen sich dafür aus,
gesetzliche Vorschriften zu lockern. In
einzelnen Punkten änderte der Bundes-
tag bereits 2014 das Bauplanungsrecht; so
dürfen nun Flüchtlingsunterkünfte auch
in Gewerbegebieten entstehen, in denen
Wohnungen eigentlich nicht zulässig sind.
WIE VIELE ZUSÄTZLICHE WOHNUNGEN
be-
nötigt werden, ist allerdings unklar. Das
Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in
Köln rechnet damit, dass bis 2020 bundes-
weit jedes Jahr 430.000 Wohnungen ge-
baut werden müssen und damit deutlich
mehr als die rund 300.000 Einheiten, die
noch vor Kurzem als ausreichend galten.
Dabei geht das IW Köln davon aus, dass
die Einwohnerzahl Deutschlands bis 2020
von derzeit knapp 82 Millionen auf bis zu
85 Millionen wachsen wird.
Über diesen Trend freuen sich die
Wohnungsvermieter – vor allem dieje-
nigen, die sich in den vergangenen Jah-
ren als Folge sinkender Haushaltszahlen
schwertaten, Mieter zu finden. „Für viele
deutsche Gemeinden kann sich die derzei-
tige Flüchtlingswelle als Glücksfall für die
Immobilienmärkte herausstellen“, schreibt
deshalb das EBS Real Estate Management
Institute Wiesbaden in einer Studie. Von
einem bundesweiten Mangel an Wohn-
raumkönne keine Rede sein, sind auchDr.
Reiner Braun und Prof. Dr. Harald Simons
vom Berliner Forschungsinstitut empiri-
ca überzeugt. Sie verweisen darauf, dass
2011 in Deutschland 1,7 Millionen Woh-
nungen leer standen. Diese befinden sich
allerdings meistens in strukturschwachen
Regionen und nicht inGroßstädten, in die
es die meisten Asylsuchenden zieht. Die
empirica-Experten empfehlen deshalb,
Flüchtlingsfamilien gezielt inKleinstädten
anzusiedeln. „Gerade in den ländlichen
Abwanderungsregionen ist die Chance
auf einen Arbeitsplatz meist besser als
in den wachsenden Metropolregionen“,
argumentieren Simons und Braun. Au-
ßerdem falle die Integration in kleineren
Ortschaften leichter als in Großstädten.
WEITE TEILE DER POLITIK
sehen das ähn-
lich: Bei Redaktionsschluss dieser Ausga-
be lag noch der in diese Richtung zielende
Vorschlag auf dem Tisch, nicht nur neu
angekommenen Flüchtlingen, sondern
auch anerkannten Asylbewerbern den
Wohnort vorzuschreiben. Allerdings
müssten in diesen Regionen auch Ar-
beitsplätze vorhanden sein, gibt Dr. An-
dreas Mattner zu bedenken, Präsident des
Zentralen ImmobilienAusschusses (ZIA),
der die Interessen zahlreicher Immobili-
enunternehmen und -verbände vertritt.
Der ZIA hat deshalb eine Studie in Auf-
trag gegeben, die die Frage beantworten
soll, welche Regionen inDeutschland über
offene Stellen in Verbindung mit einem
hohen Wohnungsleerstand und einer in-
takten Infrastruktur verfügen.
Positive Auswirkungen hat die Flücht-
lingswelle aber auch für Eigentümer
schwer vermietbarer Nichtwohngebäude.
Dr. Frank Pörschke, Deutschlandchef des
Immobiliendienstleisters Jones Lang La-
Salle (JLL), spricht von „Chancen“, die sich
daraus ergeben, dass „plötzlichNutzungs-
möglichkeiten für Immobilien entstehen,
die vor Kurzem noch als unvermietbar
galten“ – beispielsweise für schlecht lau-
fende Hotels und leere Lagerhallen.
BESONDERS BELEBEND
wirkt sich dieNach-
frage auf den Büromarkt aus. Viele unver-
mietete Bürogebäude können nämlichmit
relativ geringem Aufwand in Notunter-
künfte umgewandelt werden. Allein in den
letzten Wochen des Jahres 2015 wurden
nachAngaben von JLL in den sieben größ-
ten deutschen Städten 210.000 Quadrat-
meter Bürofläche für diesen Zweck von
der öffentlichen Hand angemietet oder
angekauft. Insgesamt hält JLL-Researcher
Helge Scheunemann in den Top-7-Städ-
ten etwa 800.000 Quadratmeter Büroflä-
che für eine solche Umnutzung geeignet.
Würde dieses Potenzial komplett aktiviert,
würde der Büroleerstand auf einen Schlag
von 6,9 auf 6,1 Prozent sinken.
Bei alledem muss sich die Immobili-
enwirtschaft auch ihrer moralischen und
gesellschaftlichen Verantwortung stellen.
„Die Immobilienbranche wird in der
Flüchtlingsdiskussion oft unter denGene-
ralverdacht gestellt, aus der Not der Men-
schen ein Geschäft zu machen“, sagt Stef-
fen Uttich, früher Immobilienredakteur
der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
und jetzt Fondsmanager beim Immobi-
lienunternehmen Beos. Hier gelte es, das
öffentliche Bild zu korrigieren, ist Uttich
überzeugt: Gerade die Immobilienbran-
che könne „an der Seite der Kommunen
einen wesentlichen Beitrag leisten, umdie
Herausforderungen zu meistern“.
SUMMARY
»
Experten rechnen damit, dass die Einwohnerzahl Deutschlands durch die Zuwanderung deutlich steigen
und der
Bedarf an neuen Wohnungen
erheblich zunehmen wird.
»
Der Büroleerstand könnte durch die
Umnutzung zu
Flüchtlingsunterkünften
deutlich sinken.
Fotos: Strenger Gruppe, Aengevelt
«
Christian Hunziker, Berlin
Links: Flüchtlings-
lösung I? Ein Reihen-
haustypus wie von
der Strenger AG,
Bauzeit vier Monate.
Rechts: Flüchtlings-
lösung II? Gewerbe-
immobilien wie in
Haan, Dusselberger
Straße.
1...,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14 16,17,18,19,20,21,22,23,24,25,...76
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