Wirtschaft und Weiterbildung 3/2019 - page 54

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wirtschaft + weiterbildung
03_2019
seien heute nur noch erfolgreich, wenn
sie ihre Geschäftsmodelle ständig neu
erfänden – wie dies etwa Amazon mit
seiner Entwicklung vom Buchverkäufer
zum Internetgiganten exemplarisch vor-
führe. Personalentwickler sollten die Ver-
netzung der Arbeitnehmer vorantreiben,
damit diese voneinander lernen könnten
und sie sollten mit einem besseren Wis-
sensmanagement neues Wissen direkt an
den Arbeitsplätzen zugänglich machen.
Eine Studie von Towards Maturity legt
laut Jennings nahe, dass sich mit dem
Lernen am Arbeitsplatz deutliche wirt-
schaftliche Vorteile erzielen lassen: Es
sei viermal wahrscheinlicher, dass Un-
ternehmen schneller auf geschäftliche
Veränderungen reagierten, dreimal wahr-
scheinlicher, dass eine Verbesserung der
Mitarbeitermotivation zu verzeichnen sei
und zweimal wahrscheinlicher, dass Or-
ganisationen eine zunehmende Kunden-
zufriedenheit verzeichneten.
2.
Warum sollte man sich noch mit
formalem Lernen beschäftigen?
Formales Lernen ist laut Jennings trotz-
dem wichtig – zum Beispiel im Rahmen
von Onboarding-Prozessen seien formale
Trainings unersetzlich, insbesondere
wenn es darum gehe, die Arbeitsabläufe
und die richtigen Ansprechpartner in
einem Unternehmen kennenzulernen.
„Formales Training hat eine echte Wir-
kung, wenn es gut gemacht ist“, so der
Experte. „Aber formales Training allein
wird nie zu Höchstleistungen führen.
Ich habe niemanden aus einem Lernpro-
gramm herauskommen sehen, der sofort
ein Experte war“, so Jennings, der er-
klärte, was Erwachsene zum Lernen im
Berufsleben brauchen:
• Herausfordernde Erfahrungen
• Möglichkeiten zum Üben
• Austausch, Diskussion mit anderen
• Zeit zum Nachdenken.
Erfahrung plus Reflexion sei das Lernen,
das hängenbleibe.
3.
Welche Rolle sollten Chefs und
PE‘ler beim Lernen spielen?
Chefs sähen oft einen Widerspruch zwi-
schen operativer Exzellenz und der Ent-
wicklung ihrer Mitarbeiter – nach dem
Motto: „Ich stehe unter Druck, weil ich
dieses Projekt umsetzen muss. Ich habe
keine Zeit, meine Leute zu entwickeln.“
Laut Jennings führt eine mangelnde Ent-
wicklung der Beschäftigten durch ihre
Chefs zu einer hohen Fluktuationsrate.
Außerdem gelte, dass Menschen offener
für Veränderungen seien, wenn sich ihre
Manager auf die Entwicklung der Mitar-
beiter konzentrierten.
Jennings kritisierte jene Personalentwick-
ler, die das informelle Lernen nicht als
ihre Aufgabe betrachteten. Diese Haltung
sei „falsch“. Auch Personalentwickler
müssten sich darum kümmern, dass sich
beispielsweise die Kundenzufriedenheit
oder die Verkaufszahlen erhöhten. In
den Personalabteilungen müsse es einen
„Switch vom Lern- zum Leistungsfokus“
geben. PE‘ler sollten über Leistung und
Wirkung nachdenken und nicht über
individuelles Lernen. Die Personalent-
wicklung müsse Manager für Lernen am
Arbeitsplatz befähigen – sonst bleibe sie
nur eine Kostenstelle. Jennings stellte
eine Studie vor, die herausgefunden hat,
was Führungskräfte tun müssen, um die
Leistung der Mitarbeiter zu steigern: 1.
Erläuterung der Standards für die Leis-
tungsbewertung (19,8 Prozent), 2. Arbeit
eben, die Lernmöglichkeiten bietet (19,8
Prozent), 3. Erfahrungen ermöglichen,
die die Entwicklung unterstützen (19,1
Prozent). Das seien Dinge, die gute Ma-
nager sowieso tun sollten, so Jennings.
4.
Welche Ansätze und Tools können
beim informellen Lernen helfen?
Beim arbeitsplatznahen Lernen braucht
man laut Jennings die passende Tech-
nologie und geeignete Tools. Mithilfe di-
verser Chatbots – wie zum Beispiel dem
„Saffbot“ – könnten Mitarbeiter das Ge-
lernte aus einem Präsenzseminar vertie-
fen und reflektieren. Ein weiteres Reflexi-
onsinstrument seien Fragekarten mit Re-
flexionsanregungen. Auf solchen Karten
stünden Fragen wie: Was tun, wenn Ihre
Mitarbeiter nicht von sich aus Informatio-
nen aus einem Projekt weitergeben? Was
würden Sie beim nächsten Projekt anders
machen?
Um das Selbstlernen anzukurbeln, emp-
fiehlt Jennings seine 505-Technik: Eine
Führungskraft spricht vor einer formel-
len oder informellen Bildungsmaßnahme
fünf Minuten lang mit dem teilnehmen-
den Mitarbeiter über den zu erwarten-
den Sinn der Maßnahme. Während der
Maßnahme lässt sie ihn in Ruhe. Danach
sprechen beide fünf Minuten über die be-
merkenswertesten Lernergebnisse.
„Lernen ist Arbeit. Und wir arbeiten, um
zu lernen“, rief Jennings den Zuhörern
zu. Er warnte jedoch davor, zu glauben,
der Übergang zum selbstgesteuerten Ler-
nen und zum Lernen am Arbeitsplatz sei
einfach. Damit verbunden sei ein zwei
oder drei Jahre andauerndes Change-
Programm. „Man kann nicht einfach das
Licht anmachen, das Workplace Learning
ist ein schwieriger Veränderungsprozess,
der aus vielen kleinen Teilen besteht“, so
Jennings. „Die Personalentwickler sollten
Management-Tools wie Business Canvas
nutzen.“ Der einzelne Mitarbeiter lerne
nicht für sich selbst, sondern um Kunden
oder Kollegen in anderen Abteilungen
einen größeren Nutzen zu bieten.
Stefanie Hornung
R
Fotos: Stefanie Hornung
Charles Jennings.
Der Gründer des
70-20-10-Institute gilt vielen als Leitfigur
des informellen Lernens.
Jane Hart.
Sie gründete das Centre for
Learning & Performance Technologies und
entwickelte den Learntec-Kongress mit.
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