Wirtschaft und Weiterbildung 3/2019 - page 64

grundls grundgesetz
Boris Grundl
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wirtschaft + weiterbildung
03_2019
„Vergleiche dich nicht“, sagen sehr viele Glücksrat­
geber. Und da ist ja auch etwas dran. Denn wer sich
mit anderen vergleicht, ist nicht bei sich und seinen
Möglichkeiten. Also wäre sich nicht zu vergleichen
eine sehr kluge Strategie. Doch wie geht das?
Tatsächlich behaupten viele, dass sie sich nicht
mit anderen vergleichen. Sie seien in keiner Weise
davon abhängig, was andere haben oder sind. Doch
ist dem so? Hier ist ein kurzer Selbsttest. Haben
Sie sich schon einmal gefreut, wenn einem anderen
etwas misslingt? Wenn dem so ist, waren Sie durch
einen Vergleich zuvor neidisch. Sonst käme es
nicht zu Ihrer Freude. Natürlich vergleichen wir uns
mit anderen. Meistens unbewusst. Kein Wunder,
dass der Buddhismus den Zustand des „Nicht­
vergleichens“ anstrebt. Erreichen tun dies nur die
wenigsten.
Wer den Weg der Selbsterkenntnis geht, wird sich
mit der Zeit immer besser selbst beobachten und
aushalten lernen. Und er wird feststellen, wie oft
und permanent wir uns vergleichen und wie sehr
wir im Kern darunter leiden. Auch wenn wir das in
den seltensten Fällen zugeben. Ob Gehalt, Beför­
derung oder Firmenparkplatz. Unser öffentliches
Leben ist vom Prinzip des Vergleichs geprägt.
Hinzu kommt der Wettkampf um den attraktivsten
Partner, die beste Ausbildung oder den besten Lie­
gestuhl am Swimmingpool. Wenn also schon „nicht
vergleichen“ kaum möglich ist, wie sieht dann die
Lösung dieses Dilemmas aus? Die Antwort liest
sich zwar einfach, beschreibt jedoch die Champions
League der Selbstführung. So lautet die These: Weil
wir so wenig den mentalen Zustand des „Nicht­
vergleichens“ erreichen und halten können, sollten
wir am empfundenen Ergebnis der Vergleiche arbei­
ten. Das lässt sich nämlich sehr wohl beeinflussen.
Denn Vergleichen führt meistens zu einem von zwei
Ergebnissen: Inspiration oder Frustration.
Beide sind nicht einfach isolierte Gefühlszustände,
sondern Handlungstreiber. Der Frust, dass andere
unerreichbar scheinen, mündet in Missgunst, Läh­
mung, Stagnation oder Niedertracht. Denken Sie an
die „Eishexe“ Tonya Harding, die ihrer Konkurrentin
das Knie zerschlagen ließ, um amerikanische Meis­
terin werden zu können. Oder es endet in Inspira­
tion. Wie bei Arnold Schwarzenegger. Als Jugendli­
cher sah er in einem Sandalenfilm den Bodybuilder
Reg Park und ließ sich durch den Vergleich mit ihm
zu seiner Weltkarriere inspirieren.
Auch für mich selbst ist kluges Vergleichen von
entscheidender Bedeutung. Als hoch gelähmter
Rollstuhlfahrer ist mein Leben voller Hindernisse.
Kreuzt eine Treppe meinen Weg, gebe ich dieser im
Geiste gar nicht erst Raum. Ich suche sofort nach
einer Alternative und gönne den Fußgängern (so
nennen Rollstuhlfahrer laufende Menschen) ihre
Abkürzung, die ich nicht habe.
Zugegeben: Es dauert, sich diese geistige
Haltung anzutrainieren, doch es lohnt sich.
Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass
diese Art „Denkschule“ eine der Antwor­
ten auf die vielen mentalen Krankheiten
unserer heutigen Zeit ist. Werden Sie sich
deshalb Ihrer inneren Vergleichsstrategien immer
bewusster und denken Sie so lange darüber nach,
bis Inspiration durch den Vergleich entsteht. Inspi­
ration ist das Ergebnis tiefen Nachdenkens. Frustra­
tion ist das Ergebnis oberflächlichen Nachdenkens.
Und wer will schon frustriert sein, wo Inspiration nur
einen Gedanke weiter um die Ecke wartet?
Paragraf 73
Vergleiche dich klug
Boris Grundl ist Managementtrainer und Inhaber der Grundl Leadership Akademie, die Unternehmen befähigt, ihrer Führungsverantwortung gerecht zu werden.
Er gilt bei Managern und Medien als „der Menschenentwickler“ (Süddeutsche Zeitung). Sein jüngstes Buch heißt „Verstehen heißt nicht einverstanden sein“ (Econ
Verlag, Oktober 2017). Boris Grundl zeigt, wie wir uns von oberflächlichem Schwarz-Weiß-Denken verabschieden. Wie wir lernen, klug hinzuhören, differenzierter
zu bewerten, die Perspektiven zu wechseln und unsere Sicht zu erweitern.
Sich mit anderen zu vergleichen,
führt zu einem von zwei Ergebnissen:
Inspiration oder Frustration.
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