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wirtschaft + weiterbildung
02_2017
die Kundendaten bis hin zu den Informa-
tionen zum Montageprozess, also zum
Beispiel dem Montageort und dem Weg,
wie die Bauteile dahin kommen. Der ent-
scheidende Unterschied besteht darin,
dass diese Steuerung nicht mehr durch
einen Menschen geschieht. Wir haben
einen Wechsel in der Handlungsträger-
schaft hin zum autonomen System.
Die Bauteile sondieren also selbst
untereinander, wo sie hinmüssen?
Schröter:
Genau, das ist dann nicht mehr
Aufgabe eines Menschen. Das läuft als
autonomer selbstgesteuerter Prozess.
Diese Bauteile melden dann auch, wenn
es zu Verzögerungen kommt und es am
Montageort Probleme in der Organisa-
tion geben wird, wenn ein bestimmtes
Bauteil nicht zur richtigen Uhrzeit da ist.
Die Disposition, das Zeitmanagement,
die Arbeitsabläufe, die Verfügbarkeit von
Menschen in der Montage – all dies wird
durch CPS-Impulse beeinflusst oder gar
gesteuert.
Inwiefern verliert der Mensch damit die
Entscheidungshoheit und wird zum
Assistenten der Technik?
Schröter:
Das ist im Augenblick der zen-
trale Dreh- und Angelpunkt der Diskus-
sion. Sollen sich dem Kundenwunsch
und dem Geschäftsprozess alle anderen
Prozesse im Betrieb unterordnen? Dafür
kann man plausible Argumente anführen.
Die Alternative ist, dass wir Arbeiten 4.0
zwar fördern, aber gleichzeitig die Selbst-
bestimmung des Menschen nicht verrin-
gern, sondern stabil halten. Das heißt,
wir müssen einen Gestaltungsdialog
zwischen Geschäftsleitung, Betriebsräten
und Technik führen – und das ist nicht
trivial. Es geht darum, wie man selbst-
bestimmtes Arbeiten mithilfe autonomer
Systeme ermöglichen kann.
Die Digitalisierung bietet viele Flexibili-
sierungs- und somit Selbstbestimmungs-
möglichkeiten im Sinne von Work-Life-
Balance. Bei der Arbeit selbst scheint
man somit jedoch unter Umständen an
Selbstbestimmung zu verlieren …
Schröter:
Das ist eine Frage der Technik-
gestaltung. Technik ist nie neutral, son-
dern bildet immer Interessen ab. In jeder
Realisierung von Technik muss man über
diese Interessen reden und sie offenlegen.
Wenn das Entscheidende die Produktivi-
tät und die Schnelligkeit der Auslieferung
ist, wird das keine nachhaltige Lösung
sein. Man muss deshalb auch die Stabi-
lität des arbeitenden Menschen beden-
ken. Wir brauchen die Nachhaltigkeit des
Humanen in der Arbeit. Wenn das nicht
gelingt, explodieren uns die Burn-out-
Fälle und die Zahl der Leute, die innerlich
gekündigt haben. Arbeit 4.0 kann nur ge-
lingen, wenn sie gleichzeitig eine motivie-
rende Funktion hat.
Was könnte Ihrer Ansicht nach
motivierend sein in der Zusammenarbeit
mit autonomen Systemen?
Seit wann kann man von „Arbeiten 4.0“
sprechen?
Welf Schröter:
Seit die menschliche Ar-
beit, der händisch-haptische Arbeitspro-
zess, durch einen autonom gestalteten
virtuellen Prozess ergänzt wird – und
zwar nicht im Sinne einer Kopie, sondern
einer komplementären Vorgehensweise.
Arbeiten 4.0 beginnt dort, wo im virtuel-
len Raum autonome, elektronische Werk-
zeuge tätig werden. Neu ist, dass ich auf
diese Systeme manche Arbeitsprozesse
delegieren kann. Sie nehmen mir dann
einen Teil meiner Arbeit ab und steuern
sie rechtsverbindlich in meinem Namen.
Könnten Sie ein beispielhaftes Einsatz-
szenario nennen?
Schröter:
Bei der Fertigung von Möbeln
werden einzelnen Bauteile an verschiede-
nen Standorten hergestellt und montiert.
In der Vergangenheit wurden sie „just
in time“ zum Montageort hingebracht.
Die Steuerung erfolgte durch einen Men-
schen, unterstützt durch eine Software.
Arbeiten 4.0 heißt jetzt hingegen, ich
kann im Moment der Herstellung der ein-
zelnen Bauteile intelligente Sensorchips
anbinden, sogenannte CPS-Lösungen.
Diese Sensorchips haben die Eigenschaft,
dass sie alles beinhalten – von den Daten
des Auftraggebers, den parallelen Bautei-
len, die in das Gerät hineinmüssen, über
„Technik ist nie neutral,
sondern bildet Interessen ab“
PERSONAL SÜD 2017.
Die Messe „Personal Süd“ findet in diesem Jahr vom 9. bis 10. Mai
in Stuttgart statt. Die Veranstaltung zieht in diesem Jahr in die große Halle 1 der Messe
Stuttgart um. Einer der Speaker wird Welf Schröter, Experte für Arbeiten 4.0, sein.
Keiner kann wie er erklären, worum es bei der Arbeiten-4.0-Debatte eigentlich geht.
Schröter: „Es geht um eine Kontinentalverschiebung.“
„Personaler wären eigentlich ideale Akteure.
Sie müssten sich nur proaktiv in die jetzige Debatte
hineinbegeben.“