WIRTSCHAFT_UND_WEITERBILDUNG 06/2016 - page 46

training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
06_2016
Markt der PE/OE-Beratung behaupten
wolle. Den Personalentwicklern empfahl
Looss: „Wenn Ihnen ein Anbieter sagt, er
arbeite systemisch, dann fragen Sie ihn
doch: Und wie machen Sie das? Nur so,
durch gezieltes Nachbohren, kann man
vernünftig ins Gespräch kommen.“
Auf der Suche nach einem neuen Label
sollten sich die Trainer und Berater ein-
mal fragen, was ihr Kerngeschäft in
Sachen Personal- und Organisations-
entwicklung sei. Für Looss lautet die
Antwort: „Wir sind zuständig für die
Wiedereinführung der Kommunikation
in die Organisation!“ Alles, was in einem
sozialen System passiere, müsse durch
das Nadelöhr der Kommunikation. Und
deshalb sei „Kommunikation“ der zent-
rale Überbegriff für alle Tätigkeiten, die
Trainer und Berater auszuführen hätten.
Looss erinnerte daran, dass jede Organi-
sation dazu neige, sich im Laufe der Zeit
„kommunikativ auszudünnen“. In einem
Supermarkt rede der Marktleiter nicht
mehr mit einer Kassiererin und in einem
Konzern werde eine wichtige Präsenta-
tion im Schnitt 66-mal von unterschied-
lichen Managern überarbeitet, bis sie der
Vorstandsvorsitzende zu Gesicht bekäme.
Die Wiedereinführung der Kommunika-
tion sei „dringend nötig“. Das systemi-
sche Denken könne dabei „unglaublich“
helfen, denn die Systemik habe neue
Interventionen geliefert, wie die Kommu-
nikation in den Unternehmen verbessert
werden könne.
Eine weitere Aufgabe sei es, das Nicht-
wissen zum Thema zu machen. In tur-
bulenten Zeiten müssten Manager in der
Lage sein, trotz eines erheblichen Nicht-
wissens handlungsfähig zu sein. Auch
dringend nötig sei die „Wiedereinführung
des Subjekts“ in die Organisation. Nicht
nur das System an sich, sondern auch die
Subjekte seien wichtig, um Fehlentwick-
lungen zu verhindern und positive Ent-
wicklungen voranzutreiben. Trainer und
Berater sollen laut Looss dafür sorgen,
dass die „Elemente des Subjekts“ wie das
„Erleben“, die „Bezogenheit“ und „Kon-
takt und Begegnung“ sowie „Kreativität“
wieder mehr Platz eingeräumt bekom-
men. Zum Schluss regte Looss noch an,
dass auch moralische Fragen wieder stär-
ker thematisiert werden sollten. Nach der
Finanzkrise seien solche Fragen zu sehr
den Juristen überlassen worden.
2015 gab sich Professio eine
neue Struktur
Professio hat seine Wurzeln in der Trans-
aktionsanalyse und in der systemischen
Organisationsberatung. Erich Hartmann,
Geschäftsführer der Professio GmbH, legt
seit Langem schon Wert auf eine breite
Methodenkompetenz seiner Mitarbeiter.
„Unsere Berater und Lehrtrainer beja-
hen und verfügen über eine breite Qua-
lifikation aus vielen Theorieansätzen und
Schulen aus Soziologie, Psychologie und
Organisationstheorie. Wir sind bestrebt,
diese Methoden bestmöglich miteinan-
der zu verbinden und aktuell zu halten.“
Von theoretischen Modellen erwarte man
keine „Wahrheit“, sondern vor allem
Nützlichkeit und Alltagstauglichkeit im
Sinne der Kunden.
Professio wurde 1996 von Rolf Balling
und Dr. Hans Jellouschek, zwei angesehe-
„Viele Trainer, Berater und Coachs stehen
seit Jahren unter einem erheblichen Ver-
marktungsdruck“, beobachtete Dr. Wolf-
gang Looss, der Pionier der deutschen
Coaching-Szene. Um sich zu profilieren,
seien fast alle dazu übergegangen, mit
Nachdruck zu behaupten, „systemisch“
zu arbeiten, denn das Label „systemisch“
habe lange Zeit dem Markt suggeriert,
dass man mit seiner Arbeit „ganz vorne“
mit dabei sei.
Doch weil jeder unter systemisch etwas
anderes verstehe, sei der Begriff inzwi-
schen „semantisch leer“. Die Systemik
habe als Unterscheidungsmerkmal aus-
gedient und weitgehend ihre Kraft ver-
loren. Looss: „Alle Welt nimmt für sich
in Anspruch, systemisch zu arbeiten und
wenn man mehr wissen will und nach-
fragt, dann besteht die Antwort besten-
falls aus ein paar kabarettistischen Ver-
satzstücken.“
„Ich arbeite systemisch!!!“ –
„Und wie machen Sie das?“
Looss, der am 5. April 2016 als Keynote-
Speaker den „Zukunftsdialog“ der Bera-
tungsgesellschaft Professio GmbH eröff-
nete, forderte die selbstständigen Trainer,
Coachs und Berater unter seinen Zuhö-
rern auf: „Verzichten Sie unter Marktbe-
arbeitungsaspekten künftig auf das Label
systemisch.“ Es lohne sich, nach neuen
Unterscheidungsmerkmalen zu suchen.
So machten zum Beispiel neue Begriffe
wie „Komplementärberatung“ oder „Be-
ratung im dritten Modus“ durchaus Sinn.
In diese Richtung müsse jeder für sich
weiterdenken, wenn er sich auf dem
„Systemisch hat als Label
ausgedient“
20 JAHRE PROFESSIO.
Anlässlich des Jubiläums der Beratungsgesellschaft Professio
GmbH in Ansbach trafen sich Anfang April rund 130 Absolventen der Professio-
Ausbildungsgänge sowie Kunden und Trainer zum „Zukunftsdialog“. Keynote-Speaker war
der Coaching-Pionier Dr. Wolfgang Looss. Er wies darauf hin, dass der Begriff „systemisch“
für die Marktbearbeitung unbrauchbar geworden sei.
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