WIRTSCHAFT_UND_WEITERBILDUNG 06/2016 - page 55

wirtschaft + weiterbildung
06_2016
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New-Work-Diskussion: Alles nur ein Zuckerguss?
„Wie kam es dazu, dass ihr euch mit New Work beschäftigt
habt?“, fragte Sven Franke vom Filmprojekt „Augenhöhe“
seine Gäste, die er zur Diskusion „ Co-Culture – Zusam-
menarbeitskultur auf Augenhöhe gemeinsam gestalten
zum Erfolg des Unternehmens“ auf der Personal Nord
geladen hatte. „Wir sind langsam gewachsen und hatten
klassische Hierarchien“, erklärte Achim Hensen, „Facili-
tator“ und Organisationsgestalter beim Online-Marktplatz
„Traum-Ferienwohnungen“. Dann habe man sich gefragt,
wie man eigentlich zusammenarbeiten und sich organi-
sieren wolle. „Das Faszinierendste war die Potenzialent-
faltung der Mitarbeiter“, erzählt Hensen. „Da passieren
Dinge, die keiner für möglich gehalten hätte.“ Heute habe
die Firma 120 Mitarbeiter, aber keine Fachabteilungen,
sondern interdisziplinäre Teams. „Aber das ist eine wahn-
sinnig anstrengende Reise“, so Hensen. Es sei „unfassbar
wichtig“, dass man die Art der Zusammenarbeit ändere,
betonte auch Andreas Kämmer, Geschäftsführer der Bie-
lefelder Digitalagentur Comspace. Als Führungskraft habe
er früher viele Unsinnigkeiten mitgemacht, wobei er sich
nie als klassischer Chef, sondern eher als oberster Kollege
gesehen habe. Auch Comspace wurde vor 16 Jahren als tra-
ditionelles Unternehmen gegründet. Vor zwei Jahren habe
man dann einen Feelgood-Manager eingestellt. Den Begriff
finde er zwar nicht schön, aber er sei eben in den Medien
präsent. Heute stehe man nun vor der Herausforderung,
dass alle Mitarbeiter das Feelgood-Denken haben sollten.
„Wir funktionieren wie ein Inkubator“, erklärte Kämmer. So
biete man jedem Mitarbeiter den Freiraum, seine Ideen rei-
fen zu lassen und zahle sein Gehalt weiter. „Sie müssen
uns nur davon überzeugen, dass die Idee Potenzial hat“,
sagt der Comspace-Chef. So entwickle eine Mitarbeiterin
gerade eine Plattform namens „Spende Dein Talent“, um
Talent sichtbar zu machen. „Fliegenfischen kann auch ein
Talent sein, aber man muss es eben erst mal offenlegen“,
so Kämmer. Da kämen ganz tolle Ideen zustande.
Gängiger Rat: „Einfach mal was ausprobieren!“
„Sie müssen es nur zulassen und keine Angst haben“,
appellierte er an die Zuhörer. „Probiert einfach Dinge aus.“
Als ihm vor Kurzem ein Personaler sagte, er müsse doch
auch weiter für die passende Weiterbildung der Mitarbeiter
sorgen, habe er gedacht, da sei wohl bereits der „geistige
Ruhestand“ ausgebrochen. Bei Comspace stelle inzwi-
schen auch das Team die neuen Mitarbeiter ein, erklärte
Hamburg.
Knapp 4.000 Personaler kamen am 26. und 27. April in die Hamburger Messehallen zur
Messe „Personal 2016 Nord“. Zentraler Diskussionspunkt war eine Zusammenarbeitskultur (New
Work) „auf Augenhöhe“. Einigkeit herrschte nur darüber, dass sich „wahnsinnig viel“ ändern müsse.
Sven Franke.
Er ist einer der
Macher des
Filmprojekts
„Augenhöhe“ .
Kämmer. Seitdem habe man weniger Fehlgriffe. Rund die
Hälfte der Bewerber käme über Empfehlung und inzwi-
schen bewerben sich auch immer mehr Mitarbeiter aus
Konzernen.
Wer trägt die Verantwortung?
Man müsse die Personalarbeit ganz anders machen und
„wahnsinnig viel innovativer“ werden, forderte Traum-
Ferienwohnungen-Mitarbeiter Hensen. Skeptisch zeigte er
sich jedoch, ob die Übernahme neuer Methoden den klas-
sischen Unternehmen weiterhelfen könne. Bei einer Orga-
nisationsstruktur mit Fach-Silos sei die Anwendung neuer,
kollaborativer Methoden oft nur so etwas wie ein Zucker-
guss, den man über etwas lege, für das sie nicht geeignet
sind. „Das funktioniert nicht“, so Hensen. Ob das nicht
auch eine Frage des Bildungsniveaus sei, fragte eine Zuhö-
rerin. Wenn sie einem Mitarbeiter in der Produktion sage,
man müsse jetzt mal in den Dialog gehen, schaue der sie
doch nur komisch an. Der Rat von Moderator Franke: „Du
musst einfach Angebote machen, kleine Schritte und ihn
immer wieder challengen.“ Einen Knackpunkt sieht Hensen
in Fragen des Eigentums und der Rechtsform. Schließlich
ginge es in einem Shareholder-Value-Unternehmen per se
nicht um Sinn, sondern die Erhöhung des Aktienwertes. Am
Ende trage eben immer jemand das Risiko, gestand auch
Kämmer: „Die Frage ist für mich noch offen.“
Bärbel Schwertfeger
Foto: Pichler
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