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wirtschaft + weiterbildung
01_2016
NEUER VW-PERSONALVORSTAND BLESSING
Mission: Nach „Dieselgate“ dicke Luft reinigen
Erst im zweiten Anlauf hat
Karlheinz Blessing zugesagt,
die Verantwortung für die Per-
sonalarbeit des VW-Konzerns
mit weltweit fast 600 000 Mit-
arbeitern zu übernehmen. Im
vergangenen Jahr wollte der
Vorsitzende des Vorstands der
Dillinger Hütte und der Dil-
linger Hütte Saarstahl sowie
der Saarstahl AG nicht wech-
seln. Er war noch mit einem
Restrukturierungsprogramm
beschäftigt. Jetzt also sieht er
die Zeit für den Wechsel vom
Stahl zum Auto für gekommen
oder wollte sich dem Drängen
der IG Metall nicht entziehen,
weil andere Kandidaten nicht
harmonierten. Und natürlich
passt es gut, dass der 58-jährige
Blessing längst einen Porsche
fährt und das gerne schnell.
Karlheinz Blessing gilt als
jemand, der um Ausgleich der
Interessen bemüht ist. Es wird
ihn also nicht schrecken, dass
der Betriebsratschef selbst
als Arbeitsdirektor gehandelt
wurde. Bernd Osterloh war
aber wegen seiner Mitverant-
wortung im Aufsichtsrat und
als Co-Manager sowie als lang-
jähriger Gefährte von Martin
Winterkorn nicht mehr vermit-
telbar. Das erkannte er selbst
und sagte, er wolle jetzt auf-
seiten der Arbeiter stehen. Am
Kurs des Co-Managements hält
der Arbeiterführer aber fest und
betonte, dass Wirtschaftlichkeit
und Beschäftigungssicherheit
bei VW gleichrangige Unter-
nehmensziele sind – was im
neuen Jahr zumindest für die
Arbeitnehmer mit Zeitverträgen
infrage gestellt ist.
Ganz ruhig werde Blessing das
Thema angehen, sagen lang-
jährige Kollegen des Mannes,
der seine Berufskarriere nach
der Promotion im Büro von
IG-Metall-Chef Franz Stein-
kühler als Volkswirt begann.
1991 wurde Karlheinz Blessing
Geschäftsführer der SPD, in der
er bereits seit seiner Jugend
Mitglied war. Doch mit dem
Fall des designierten Kanzler-
kandidaten Björn Engholm ver-
abschiedete sich auch Blessing
von der parteipolitischen Kar-
riere. Der Volkswirt ging 1994
als Arbeitsdirektor in die Stahl-
wirtschaft mit ihrer Montanmit-
bestimmung – einem weitrei-
chenden Mitbestimmungsrecht
für Arbeitnehmer. Und auch da
ist zumindest strukturell eine
Nähe zu VW zu entdecken.
Es wäre fatal, jetzt in der Krise
jemanden zu benennen, der
Foto: Saarstahl AG
Foto: Volkswagen AG
Karlheinz Blessing.
Der neue
HR-Chef soll bei VW für Ruhe
sorgen (links: Einbau des
Gitters, das den Schadstoff-
ausstoß drosseln und so den
Abgasskandal beenden soll).
die Mitbestimmungsklaviatur
nicht spielen kann oder sogar
die Tasten auf den Müll werfen
möchte.
Karlheinz Blessing ist auf dem
Gewerkschaftsticket zum Per-
sonal- und Organisationsvor-
stand gewählt worden – wie
vor ihm Horst Neumann und
Peter Hartz. Gewerkschafter
als Arbeitsdirektoren bei VW
sind ein sehr eigenes Thema,
auch wenn der Konzern sich
in den Management- und Per-
sonalinstrumenten heute kaum
von anderen Großunternehmen
unterscheidet. Da lohnt bei
der Erklärungssuche ein Blick
in die VW-Unternehmensge-
schichte, zum Beispiel, wenn
der Großaktionär Katar oder
manche Zeitungen sich über
den Einfluss der IG Metall wun-
dern.
Die Gewerkschaften haben das
Vorschlagsrecht für den Perso-
nalvorstand als Kompensation
für die Gründungsgeschichte
des Konzerns. Das Gründungs-
kapital kam 1934 nämlich aus
dem Gewerkschaftsvermögen,
das die Nationalsozialisten
1933 beschlagnahmt hatten.
Der Zweite Weltkrieg stoppte
dann die Volkswagen-Produk-
tion. 1949 schließlich übergab
die britische Militärregierung
dem Land Niedersachsen das
Autowerk mit der Auflage, die
Gewerkschaften stark zu betei-
ligen. Da wirkt es logisch, dass
die Arbeitsdirektoren einen
engen Kontakt zu der Gewerk-
schaft halten, die die Beschäf-
tigten mit einem Organisati-
onsgrad von über 90 Prozent
vertritt. Und es ist schlüssig,
dass Karlheinz Blessing selbst
noch als CEO die Hans-Böckler-
Stiftung als Vorstandsmitglied
unterstützte, die Betriebs- und
Aufsichtsräte aus Arbeit-
nehmerreihen mit Studien und
Seminaren begleiten und quali-
fizieren. So hielt er im Sommer
2014 eine Rede zum Abschied
von DGB-Chef Michael Som-
mer, in der er eines seiner
Lieblingsthemen unterbrachte:
die Fabrik 4.0. Moderne trifft
Tradition. Vielleicht hilft der
Überblick bei der Überwindung
der Dieselgate-Krise. Karlheinz
Blessing würde punkten, wenn
er als Personalvorstand bei VW
die Digitalisierung vorantreibt,
die Mauer des Schweigens auf-
bricht und mehr Offenheit und
Kommunikation schafft. Inner-
halb des Konzerns warten viele
darauf, gerade auch in HR.
Ruth Lemmer
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