wirtschaft + weiterbildung
05_2016
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passieren. Es kann nicht sein, dass wir
die Maschinen individueller behandeln
als die Menschen, die sie bedienen.
Gerade Personalmanager gelten aktuell
nicht unbedingt als Vorreiter ...
von Mutius:
In vielen Organisationen,
auch in Personalabteilungen, hat man
sich in den letzten Jahren mit der Digitali-
sierung beschäftigt. Gleichzeitig sehe ich
eine Gefahr der Verunsicherung. Dann
ist man leicht geneigt, allem Möglichen
nachzulaufen. Viele digitale Missionare
hauen ja ziemlich auf den Putz. Die ge-
samte IT-Branche wird die Personaler in
den nächsten Jahren mit Digitalisierungs-
angeboten überschütten. Marketing pur.
Da muss sich eine neue Souveränität und
Sicherheit entwickeln, was man davon
wirklich braucht. Es gilt, die Angebote zu
durchschauen und dann gegebenenfalls
auch konsequent einzusetzen. Immer mit
dem Blick auf den Menschen. Gerade in
der Personalentwicklung sollten wir uns
fragen: Welche menschlichen Fähigkeiten
wollen wir voranbringen?
Wen sehen Sie da im Driver-Seat?
von Mutius:
Es wäre nicht verkehrt,
wenn jedes Unternehmen so etwas wie
Vorträge.
Die Attraktivität der
Messe „Personal Süd“ beruht
darauf, dass den Besuchern
eine Kombination aus bedeu-
tenden Ausstellern und aktuel-
len Vorträgen geboten wird.
Dr. Bernhard von Mutius.
Der Philosoph ist Grün-
dungsmitglied des „New
Club of Paris“, Mitbegrün-
der der Denkbank und seit
Kurzem Senior Advisor und
Mitglied im Teaching Team
der HPI School of Design
Thinking. Außerdem ver-
öffentlicht er regelmäßig
Beiträge zum vernetzten
Denken.
Wie sollte sich denn unser Denken
konkret verändern?
von Mutius:
Es handelt sich bei der Digita-
lisierung und ihren Folgen nicht um eine
lineare Entwicklung. Die aktuelle Verän-
derung lässt sich ganz schwer lenken.
Deshalb sollten wir uns gerade im Perso-
nalbereich die Frage der Qualifikation von
Mitarbeitern und Führungskräften neu
stellen: Wie schaffen wir ein Denken, das
mit diesen radikalen Brüchen mitwächst?
Oder noch plakativer ausgedrückt, ein
Denken, das der Zukunft gewachsen ist?
Ich nenne das „Disruptive Thinking“.
Ein Beispiel: Je mehr die Vernetzung zu-
nimmt, desto wichtiger wird das Indivi-
duum. Nehmen Sie das Thema „Industrie
4.0“. Diese Revolution in den Fabriken
und Produktionsanlagen versetzt uns in
die Lage, Einzelstücke für das Individuum
anzufertigen. Wir erleben ein hohes Maß
an Individualisierung in der Massenpro-
duktion. Auf der Führungs- und Mitar-
beiterebene muss etwas Entsprechendes
einen Beirat zum Thema „Mensch und
Maschine, neue Anforderungen, neue
Fähigkeiten“ schaffen würde. Also zwei
bis drei Leute, die etwas von der Digita-
lisierung und von den möglichen Kon-
sequenzen verstehen und anderen dabei
helfen, in diesem Feld mehr Expertise zu
bekommen.
Aktuell propagieren viele digitale
Vordenker den Ansatz, Führung zu
demokratisieren. Ist das aus Ihrer Sicht
nur ein leeres Versprechen oder etwa ein
sinnvoller Weg?
von Mutius:
Diese Bewegung ist in den
letzten Jahren immer stärker geworden,
weil es in einer vernetzten Gesellschaft
schwieriger wird, Dinge von einer Zent-
rale aus zu steuern. In den Organisatio-
nen, in die ich hineinschaue, beschäfti-
gen sich nicht nur die Personaler, sondern
auch die Vorstände damit. Wir brauchen
mehr vernetzte Prozesse und Strukturen,
und zwar in Kombination mit allen mög-
lichen Formen von „New Work“. Viele
Mitarbeiter bringen Kompetenzen mit,
von denen ihr Chef gar nichts ahnt. Es ist
eine spannende Frage, wie weit wir agiler
werden müssen und selbstorganisierter
werden können.
Foto: v. Mutius