wirtschaft und weiterbildung 5/2016 - page 56

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wirtschaft + weiterbildung
05_2016
Sie sind vor ein paar Monaten als Senior
Advisor in das Teaching-Team der Design
Thinking School in Potsdam
aufgenommen worden. Wie kann diese
Methode den Prozess unterstützen?
von Mutius:
Design Thinking ist eine
kraftvolle Methode mit vielen Ausprä-
gungen. Alle Ansätze eint, dass sie „hu-
man-centered“ sind. Die Akteure gehen
souverän mit digitalen Geräten um, aber
sie konzentrieren sich dabei bewusst auf
den Menschen in der Vernetzung. Das ist
ein guter Anhaltspunkt für die nächste
Zeit: Der Mensch und nicht die Maschine
sollte im Mittelpunkt stehen. Beim Design
Thinking geht es darum, Kreativität und
Innovation zu fördern, indem man sich in
den potenziellen Kunden hineinversetzt
und dann gut strukturiert viele Ideen
kreiert – ohne dabei zu werten. Daraus
sollten sich schließlich iterativ praktisch
greifbare Lösungen entwickeln. Ein Kern-
element dabei ist Interdisziplinarität. Wir
versuchen, mehrere Perspektiven einzu-
nehmen, um ein breiteres Lösungsspekt-
rum zu entwickeln.
Inwiefern wird die Methode angewandt,
um neue Führungsprinzipien für die
eigene Organisation zu finden? Oder
läuft sie nur in der Produktentwicklung?
von Mutius:
Design Thinking ist kein All-
heilmittel. Führung wird noch einmal
extra zu betrachten sein. Aber die Me-
thode unterstützt ein kollaboratives Füh-
rungsverständnis. Klassische Organisati-
onen haben häufig das Problem, dass gut
ausgebildete Individuen, die auch gerne
Teamarbeit machen, in eine problemati-
sche Meetingkultur kommen. Dort bleibt
ein Großteil ihrer Kreativität auf der Stre-
cke. Design Thinking macht die Zusam-
menarbeit produktiver.
Sie sagten, wir müssen uns mehr
Gedanken um die Qualifikation machen,
die wir in Zukunft brauchen. Welche
Kompetenzen könnten da hilfreich sein?
von Mutius:
Die digitalen Tools explo-
dieren, deshalb muss man den Umgang
damit und das experimentelle Herange-
hen ganz stark entwickeln, zum Beispiel
in Zusammenarbeit mit Start-ups. Eine
zentrale Fähigkeit ist auch der Umgang
mit Komplexität und Ungewissheit – und
zwar nicht nur für Führungskräfte, son-
dern für alle Mitarbeiter. Wir müssen
in der Lage sein, wirklich gute einfa-
che Dinge zu entwickeln – eine überra-
schende Einfachheit. Alles, was zu kom-
pliziert ist – und das heißt nicht komplex
– wird keine Chance haben. Das bezieht
sich auf Produkte und Dienstleistungen,
aber auch auf Prozesse, zum Beispiel im
Personalbereich. In meinen Leadership-
Seminaren schauen wir uns manchmal
ganz andere Bereiche an, von denen man
das lernen kann, etwa vom Design der
Bauhaus-Tradition.
Eine weitere Qualifikation, die in nächster
Zeit wichtiger wird, ist wirkliche Trans-
formationsfähigkeit. Wir müssen den
Übergang von einer alten Welt in eine
neue hinbekommen – und zwar so, dass
die beiden nicht miteinander in einen
spaltenden Konflikt geraten. Wir brau-
chen eine Übersetzung zwischen beiden
Welten. Und dabei ist die Fähigkeit, mit
Widersprüchen umgehen zu können, be-
sonders wichtig.
Warum wird das wichtiger?
von Mutius:
Clayton M. Christensen be-
schreibt in seinem Buch „The Innovator‘s
Dilemma“ den typischen Konflikt eines
Managers in einem ordentlich geführten
klassischen Unternehmen. Das Manage-
ment macht eigentlich alles richtig. Es ist
kundenorientiert, hat gute Produkte und
schaut auf die Effizienz. Gerade weil es
das macht, ist es schlecht in der Berück-
sichtigung der neuen, disruptiven Angrei-
fer. Das Dilemma besteht darin: Entweder
macht man das eine oder das andere. Die
Kunst wird aber sein, dass man beides
kann. Auf der einen Seite haben wir die
klassische Siloorganisation, die funktio-
nale Organisation, auf der anderen Seite
die neuen, netzwerkähnlichen agilen
Teams. Das wird nicht immer mit einem
Entweder-oder zu lösen sein.
Nehmen wir doch mal ein anderes
Beispiel: Wie passen Agilität und
Schnelligkeit mit einer langfristig ange-
legten Personalentwicklung zusammen?
von Mutius:
Das ist ein gutes Beispiel,
weil das zeigt, dass viele Ratgeber ein-
seitig sind. Sie sagen zum Beispiel:
„Setzt auf Schnelligkeit und Agilität! Die
Schnellen fressen die Langsamen.“ Doch
der Umbruch in dieser Zeit der Digitali-
sierung erzeugt auch ein Bedürfnis der
Stakeholder nach Nachhaltigkeit, nach
sozialer Verantwortung. Ich erlebe das
gerade auch in den USA als eine starke
Bewegung. Selbst bei den Superreichen,
selbst bei Goldman Sachs. Die sagen:
„Wir müssen unbedingt mehr auf Lang-
fristigkeit setzen. Die horrenden Gewinn-
explosionen der letzten Jahre zerreißen
die Gesellschaft und gefährden damit
letztlich unser Geschäft.“
Da beißt sich die Katze in den Schwanz …
von Mutius:
Es geht um die Debatte von
Joseph Schumpeter, der gesagt hat, dass
schöpferische Zerstörung nur in einer Ge-
sellschaft möglich ist, die das auffangen
kann, sodass am Ende nicht das System
selbst zerstört wird. Deshalb wird es für
den Personalbereich so wichtig werden,
auf die strategische Entwicklung des
Unternehmens einzuwirken, damit die
Themen Nachhaltigkeit und soziale Ver-
antwortung als Werte in dieser beschleu-
nigten Entwicklung der nächsten Jahre
nicht unter die Räder geraten. Die große
Gefahr ist, dass unser Veränderungswille
auf dem Weg ermattet oder vor Ehrfurcht
erstarrt. Wir schauen oft wie das Kanin-
chen auf die Schlange, was da an immer
schnelleren Entwicklungen auf uns zu-
kommt. Aber wir müssen uns dauerhaft
richtig ins Zeug legen, um die künftigen
Fähigkeiten zu entwickeln.
Interview: Stefanie Hornung
Keynote.
Dr. Bernhard von Mutius hält
auf der „Personal Süd“ (Dienstag, 10.
Mai, 11.15 Uhr) den Vortrag „Disruptive
Thinking“.
R
„Wir müssen den Übergang von einer alten Welt
in eine neue hinbekommen. Und dabei ist die
Fähigkeit, mit Widersprüchen umgehen zu können,
besonders wichtig.“
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