personalmagazin Kanzleien spezial 4/2015 - page 21

21
spezial Kanzleien im Arbeitsrecht 2015
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
THOMAS MUSCHIOL
ist Rechtsanwalt und
Fachautor in Freiburg.
nicht anhängig“ sei. Im Rahmen einer
Sicherheitsüberprüfung erfuhr sein Ar-
beitgeber später von einer Jugendstrafe,
die im Bundeszentralregister bei der Be-
werbung bereits getilgt war. Er focht den
Arbeitsvertrag an und kündigte. Zu Un-
recht, entschied das Bundesarbeitsge-
richt. Zwar dürfe der Arbeitgeber Infor-
mationen zu Vorstrafen einholen, wenn
und soweit die Art des zu besetzenden
Arbeitsplatzes dies bei objektiver Be-
trachtung berechtigt erscheinen lässt.
Für die Richter bestand jedoch bei die-
sem Sachverhalt kein berechtigtes Inte-
resse, dass der Bewerber entsprechende
Verurteilungen zu offenbaren hat.
Urteil vom 20. März 2014, 2 AZR 1071/12
Kirchenrecht: Verfassungsrichter
rügen BAG
Zum Abschluss noch ein Abstecher von
Erfurt nach Karlsruhe: Dort hat das BAG
eine satte Rüge der Verfassungsrich-
ter kassiert. 2011 erklärte das BAG die
Kündigung eines wiederverheirateten
Chefarztes nach einer Abwägung der
Rechte der Kirche und denen des Arbeit-
nehmers für unwirksam - nun hob das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die-
ses Urteil auf. Das kirchliche Selbstver-
ständnis, das etwa die Entlassung von
Angestellten aus sittlich-moralischen
Gründen erlaubt, dürften Arbeitsrich-
ter nur eingeschränkt überprüfen, ent-
schieden die Karlsruher Richter. Das
BAG habe die „Bedeutung und Tragwei-
te des kirchlichen Selbstbestimmungs-
rechts“ nicht genügend beachtet. Das
BVerfG stärkt damit die Kirche sowie
deren verfassungsrechtlich garantier-
te Sonderrechte. Im Ergebnis darf die
katholische Kirche grundsätzlich also
weiterhin Mitarbeitern kündigen, wenn
diese nach einer Scheidung zum zwei-
ten Mal heiraten.
BVerfG, Urteil v. 22.Oktober 2014,
2 BvR 661/12
Eine ganze Reihe von Verfahren vor dem BAG haben bewiesen: Auch die betriebliche
Altersversorgung (bAV) hält einige knifflige Fragen bereit. Die unterschiedlichen Sat-
zungen und Versorgungsordnungen machen den Umgang damit nicht einfacher.
Insbesondere für AGG-relevante Streitigkeiten scheinen die Regelungen in der bAV
prädestiniert. Immer wieder muss das BAG einzelne Klauseln in Versorgungsordnungen
für unwirksam erklären, weil sie gegen das Diskriminierungsverbot wegen Alters oder
der Geschlechtszugehörigkeit verstoßen. Das haben auch die nachfolgenden Fälle aus
dem Jahr 2014 gezeigt.
Das Aus für die 55er-Klauseln
Mit dieser Entscheidung erteilte das BAG den Betriebsrentensystemen eine Absage,
die es verhindern, dass Mitarbeiter, die noch mindestens 20 Jahre lang betriebstreu
sein können, von einer betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen sind. Das BAG
entschied: „Eine Bestimmung in einer Versorgungsordnung, nach der ein Anspruch auf
eine betriebliche Altersrente nicht besteht, wenn der Arbeitnehmer bei Erfüllung der
nach der Versorgungsordnung vorgesehenen zehnjährigen Wartezeit das 55. Lebensjahr
vollendet hat, verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und ist
deshalb nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam“.
Urteil vom 18. März 2014, 3 AZR 69/12
Haupternährerklauseln unwirksam
Keinen Bestand nach dem AGG haben nach Auffassung des BAG auch solche Klauseln,
die eine Witwenversorgung daran knüpfen, dass der Ehemann während seiner Betriebs-
zugehörigkeit den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat. Allerdings musste
das BAG in diesem Fall erst gar nicht zu den im Prozess aufgeworfenen AGG-Fragen
Stellung nehmen. Vielmehr scheiterte der Versorgungsausschluss bereits daran, dass
derartige Formulierungen gegen das Transparenzgebot nach § 307 BGB verstoßen, da
sie nicht klar und verständlich sind.
Urteil vom 30. September 2014, 3 AZR 930/12
Leitentscheidung zur Rechtfertigung
Man kann sich bei Versorgungssystemen jedoch nicht nur über Ausschlussklauseln für
bestimmte Personengruppen unter dem Gesichtspunkt des AGG streiten. Auch kom-
plizierte Berechnungsformeln für die konkrete Höhe einer Betriebsrente taugen dafür,
wie eine Entscheidung zu einem Versorgungstarifvertrag aus dem Bereich des öffent-
lichen Dienstes zeigt. Wegen einer komplizierten Berechnungsformel kann es hier zu
einer Betriebsrentenkürzung kommen – aufgrund eines Anrechnungsvergleichs mit der
gesetzlichen Sozialversicherungsrente. Das BAG musste sich in diesem Fall damit ausei-
nandersetzen, ob eine solche Anrechnung bei Mitarbeitern mit langjährigen Beschäfti-
gungszeiten nicht eine unzulässige Altersdiskriminierung darstellt. Im Ergebnis lehnten
dies die Erfurter Richter jedoch ab. Zwar sei eine unterschiedliche Behandlung im Sinne
einer Differenzierung wegen des Alters denkbar. Diese sei aber im Rahmen der nach
dem AGG ausdrücklich zugelassenen Rechtfertigungsgründe zulässig.
Der Kernsatz der Entscheidung, die damit ein wichtiger Meilenstein für Rechtferti-
gungsgründe einer Ungleichbehandlung ist: „Die Begrenzung des Risikos des Arbeitge-
bers, um die von ihm zu erbringenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung
überschaubar und kalkulierbar zu halten, stellt ein rechtmäßiges Ziel im Sinne des § 3
Abs. 2 AGG dar.“ Das von der Versorgungsordnung eingesetzte Mittel, nämlich die mit
Ruhegeld und Sozialversicherungsrente erzielte Gesamtversorgung auf einen bestimm-
ten Höchstsatz des versorgungsfähigen Einkommens zu begrenzen, sei insoweit auch
angemessen.
Urteil vom 18. Februar 2014, 3 AZR 833/12
Die Betriebsrenten im Fokus
BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG
1...,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20 22,23,24,25,26,27,28,29,30,31,...60
Powered by FlippingBook