PERSONALquarterly 04/16
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STATE OF THE ART
_AUSWAHLVERFAHREN
D
as People Analytics Team von Google wollte vor
ein paar Jahren Beförderungsentscheidungen bei
Programmierern effizienter gestalten. Statt zeit
aufwendiger Entscheidungsprozesse in langen
iskussionsrunden des Managements könnten doch einfach
die vorhandenen Leistungsdaten, Vorgesetztenurteile und
Selbsteinschätzungen verwendet werden, um ein Verfah
ren zu entwickeln, das möglichst genau vorhersagt, welche
Mitarbeiter am besten für eine Beförderung geeignet sind.
Das Ergebnis war ein Algorithmus, der eigenen Angaben zu
folge eine sehr hohe Trefferquote besaß. Dadurch wurden die
aufwendigen Auswahlprozesse eigentlich überflüssig. Trotz
dem blieb Google beim alten Modell, denn das Management
wollte sich nicht hinter einem Algorithmus, einer Black Box,
verstecken. „People should make people decisions“, hieß es ent
sprechend, und das datengetriebene Entscheidungsverfahren
wurde auf Eis gelegt.
Die grundsätzliche Frage bleibt aber und ist gerade in Zeiten
von „Big Data“ und „People Analytics“ aktuell und relevant.
Führt ein Unternehmen z.B. Assessment Center durch, in de
nen die Kandidaten in verschiedenen Übungen beobachtet und
beurteilt werden, können die so erhobenen Daten auf zwei
Arten verwendet werden. Erstens können Daten durch Exper
ten zu einem Gesamturteil verdichtet werden, ob in diesem
Fall also ein Bewerber ein Jobangebot oder eine Absage erhält.
Die Entscheidung basiert auf Erfahrungen und Intuition des
Experten. Diese im Englischen als „clinical judgment“ bezeich
nete holistische Vorgehensweise ist in Unternehmen gängige
Praxis bei Personalauswahl, Leistungsbeurteilung oder auch
Beförderungsentscheidungen. Zweitens können die vorhan
denen Daten über einen Algorithmus kombiniert werden,
der im einfachen Fall den verschiedenen Testergebnissen ein
Gewicht zuweist, um so zu einem Gesamturteil zu gelangen
(„mechanical judgment“). Dieses Vorgehen mag auf den ersten
Blick komplex erscheinen, kann aber in zwei Schritten leicht
umgesetzt werden. Im ersten Schritt verwendet man Daten,
bei denen man die Prädiktoren (z.B. Testergebnisse) wie auch
das Ergebnis (z.B. Leistung) kennt, um so in einer Regressions
analyse oder ähnlichen Verfahren die Beta-Gewichte, d.h. den
relativen Einfluss der einzelnen Prädiktoren, zu ermitteln. Im
zweiten Schritt kann das Ergebnis anhand dieser Gleichung
vorhergesagt werden, indem die Werte für die Prädiktoren von
Bewerbern oder Mitarbeitern eingesetzt werden, bei denen die
spätere Leistung noch nicht bekannt sondern vorhergesagt
werden soll.
Die Ergebnisse von Algorithmus und Expertenurteil können
sich widersprechen. In der Regel muss aber eine Entschei
dung getroffen werden, zum Beispiel für oder gegen eine
Beförderung. Aber was ist nun besser, Expertenurteil oder
Algorithmus? Und lässt sich diese Frage überhaupt in die
ser allgemeinen Form beantworten? Das Beispiel von Google
zeigt, dass erstens die Qualität der Entscheidung in den beiden
Verfahren verglichen werden kann, zweitens aber ebenfalls
Einstellungen von Management, Mitarbeitern und Bewerbern
berücksichtigt werden müssen. Im Folgenden gehen wir erst
Von
Prof. Dr. Torsten Biemann
(Universität Mannheim) und
Prof. Dr. Heiko Weckmüller
(FOM Bonn)
Mensch gegen Maschine:
Wie gut sind Algorithmen im HR?
Anmerkungen. N = Stichprobengröße; Effektstärke d (Algorithmus – Experten) erfasst
den Mittelwertunterschied zwischen mechanischem und Expertenurteil, wobei positive
Werte eine Überlegenheit der Algorithmen bedeuten.
Abb. 1:
Vorhersagekraft von Algorithmus und
Expertenurteil in unterschiedlichen Bereichen
Quelle: Grove et al., 2000
N
Effektstärke d
(Algorithmus – Experten)
Bildung
18
0.09
Finanzielle Entscheidungen 5
0.20
Forensik
10
0.89
Medizin
51
0.82
Persönlichkeitsdiagnostik
41
0.19
Andere
11
0.14