PERSONALquarterly 4/2016 - page 46

PERSONALquarterly 04/16
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STATE OF THE ART
_AUSWAHLVERFAHREN
gewählt, dass die Vorhersagekraft in der Stichprobe maximiert
wird. Nun besteht die Gefahr, dass dadurch gerade bei kleinen
Stichproben zwar die Vorhersage in dieser speziellen Stichpro­
be gelingt, nicht aber für eine neue Stichprobe. Deswegen ist
die explizite Unterscheidung zwischen derselben und einer
neuen Stichprobe in Abbildung 2 wichtig. Besonders gut ist der
Algorithmus, wenn er auch für neue Stichproben eine ähnlich
hohe Vorhersagekraft besitzt. Insgesamt bestätigt sich aber das
oben beschriebene Bild, dass der Algorithmus so gut wie oder
besser als das Expertenurteil ist.
Candidate Experience und Wahrnehmungen der Mitarbeiter
Es reicht nicht aus, imAuswahlverfahren die bestenKandidaten
zu identifizieren. Diese müssen sich auch für das Unternehmen
entscheiden. Im War for Talents gewinnen Candidate Expe­
rience und Mitarbeiterbindung an Bedeutung. Entsprechend
muss die Wirkung von Algorithmus und Expertenurteil auf
die Mitarbeiter und Bewerber berücksichtigt werden. Studien­
ergebnisse in diesem Bereich beziehen sich vor allem auf die
Personalauswahl. Dineen und Kollegen (2004) untersuchten
die Gerechtigkeitswahrnehmungen von Bewerbern in einem
Experiment, bei dem den Teilnehmern Szenarien vorgestellt
wurden, in denen – neben anderen Variationen – entweder
ein Algorithmus oder ein Experte als für die Entscheidung
verantwortlich dargestellt wurde. Die Autoren wählen die
Gerechtigkeitswahrnehmung als abhängige Variable, da aus
anderen Studien bekannt ist, dass Gerechtigkeitsurteile we­
sentlich für die Bewertung der Arbeitgeberattraktivität sind
(z.B. Chapman et al., 2005). Es ergab sich eine leicht höhere
Gerechtigkeitswahrnehmung, wenn Experten und nicht der
Algorithmus Verwendung fanden (r = 0,12). Von den insgesamt
fünf untersuchten Einflussfaktoren waren allerdings drei ein­
flussreicher auf die individuelle Gerechtigkeitswahrnehmung
(insbesondere die konsistente Anwendung des Auswahlver­
fahrens bei allen Bewerbern mit r = 0,45). Diese aus Sicht der
Anwender von HR-Analytics grundsätzlich positiven Befunde
müssen allerdings vorsichtig interpretiert werden, da es sich
um eine Einzelstudie mit geringer Fallzahl (n = 76) handelt und
die Bewertung in dieser hypothetischen Situation vermutlich
anders ausfällt, wenn tatsächlich die eigene Karriere unmittel­
bar betroffen ist. Weitere Studien werden hier mehr Klarheit
bringen, bis dahin sind wir auf Analogieschlüsse aus ähnlichen
Untersuchungen angewiesen.
Weitere Studien in diesem Bereich beziehen sich nicht so
sehr auf die Datenauswertung, sondern eher auf die Art der
Datenerfassung. So zeigen Uggerslev und Kollegen (2012),
dass gerade bei der Personalauswahl die Bewerber auf nette
und entgegenkommende Interviewer Wert legen. In der Sum­
me werden also bei Personalauswahlentscheidungen Experten
von den Teilnehmern leicht positiver wahrgenommen als das
elektronische Äquivalent. Etwas schwieriger ist es bei Beför­
derungsentscheidungen und Leistungsbeurteilungen. Kein
Mitarbeiter möchte bei Beförderungen übersehen werden,
weil er nicht die richtigen Werte für den Algorithmus liefert.
Gleichzeitig sind aber viele Mitarbeiter unzufrieden, weil die
Leistungsbeurteilungen des Vorgesetzten oft als sehr individu­
ell und intransparent wahrgenommen werden. Erste Zusam­
menhänge für Deutschland zeigt das Projekt „Arbeitsqualität
und wirtschaftlicher Erfolg“, in dem unter anderem Ergeb­
nisse aus Mitarbeiterbefragungen mit den Personalpraktiken
der Unternehmen verbunden werden. Es zeigt sich zunächst
ein positiver Einfluss von Mitarbeitergesprächen und deren
Institutionalisierung auf die Arbeitszufriedenheit und weitere
Ergebnisvariablen (Wolter et al., 2016, S. 4). Gleichzeitig be­
fürworten die Beschäftigten aber Einschränkungen des dis­
kretionären Entscheidungsspielraums der Vorgesetzten, z.B. in
Form von Verteilungsvorgaben und -empfehlungen bezüglich
der Leistungsbewertung, die zu einer höheren Gerechtigkeits­
wahrnehmung bezüglich der Vergütung führen (Bellmann et
al., 2016, S. 117).
Reaktion der Anwender im Personalmanagement
Während von Beschäftigtenseite eine objektivierende Ent­
scheidungsunterstützung vermutlich eher neutral bis positiv
gesehen wird, dürfte Widerstand vor allem aus den Reihen
der Personalmanager zu erwarten sein. Insbesondere aus dem
Bereich der Personalauswahl ist bekannt, dass trotz der wis­
senschaftlich nachgewiesenen Validität Verfahren bevorzugt
werden, die einen größeren Entscheidungs- und Interpretati­
onsspielraum bieten (Schuler et al., 2007; Highhouse, 2008).
Dies betrifft die Auswahl der Instrumente, deren Ausgestal­
tung und auch die eher intuitive statt mechanische Verknüp­
fung der Einzelergebnisse zu einem Gesamturteil. Diese über
Jahrzehnte weitgehend stabilen Einstellungen dürften der Ver­
breitung von Algorithmen als alleiniger Entscheidungsgrund­
lage am ehesten im Wege stehen.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Algorithmen haben in der Regel eine stärkere Vorhersagekraft
als Expertenurteile. Gleichzeitig dominiert in der Praxis die
Verwendung von Expertenurteilen und wir glauben nicht, dass
sich dies in absehbarer Zeit sehr ändern wird. Die folgenden
Empfehlungen versuchen deshalb eine Integration beider Ent­
scheidungslogiken (vgl. auch Kuncel et al., 2013).
3
Bei der Personalauswahl können Algorithmen eingesetzt
werden, um den Bewerberpool in einem ersten Schritt ein­
zuschränken.
3
Algorithmen können zur Entscheidungsunterstützung ein­
gesetzt werden, indem Manager begründen müssen, wenn
sie von der mechanischen Entscheidung abweichen möchten.
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Bewerber nehmen es tendenziell als negativer wahr, wenn
bei den Auswahlverfahren wie auch für die Entscheidungs
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