37
1.2016
Baudirektoren kennen ihre Stadt aus dem Effeff, respektieren
die Geschichte und denken in die Zukunft. Einseitigkeit wäre in
der politischen Waschtrommel ihr Untergang. Ich bin mit Jörn
Walter verabredet. Er begrüßt mich mit freundlichem Lächeln,
seine wachenAugen bringen uns genau an die angemessene Stelle
zwischenDistanz undNähe. Er jongliert gleichzeitig zwei Espressi
auf eine Tischkante. Umströmt von Schulterklopfern und Hän-
deschüttlern versuche ich mich zu konzentrieren. Er hat bereits
neun Senatoren, drei Oberbürgermeister und sechs Senate er-
lebt. Sein Wissen und seine Erfahrung sind weltweit einzigartig.
Die HafenCity und die IBA gehören zu seinen großen Erfolgen,
die gestoppte Olympiabewerbung war sicher eine große Enttäu-
schung für ihn. Heute kann der Hamburger Oberbaudirektor
natürlich nicht mehr selber bauen. Er ist eher ein Regisseur und
Mediator innerhalb der durcheinanderwuselnden Meinungen
und widerstreitenden Interessen. Seine Autorität erwächst aus
seinemWissen und seinemWirken als kenntnisreicher Schützer
des Hamburger Stadtbilds.
Seit 2012 ist Baudezernent Franz-Josef Höing zuständig
für Stadtentwicklung, Planen, Bauen und Verkehr in Köln. Ein
Glücksfall für die Millionenmetropole. Ich kenne ihn bereits aus
Bremen, wo er als Senatsbaudirektor einer vor sich hin düm-
pelnden Stadt wieder Richtung und Orientierung verleihen
konnte. Heute freut sich Höing über die rheinische Quirligkeit
und versucht dieser großen Stadt wieder Ruhe und Festigkeit
zu verleihen. Ihn interessiert die Förderung junger, talentierter,
lokaler Architekturbüros genausowie die Sanierung der maroden
Rheinbrücken.Wenn amEnde eines langenWettbewerbstages bei
der Entscheidung für die Neubebauung des Deutzer Hafens 600
Menschen begeistert Beifall klatschen, ist das seine Anerkennung
für beharrliche Überzeugungsarbeit.
Eigentlich ist die Herkulesaufgabe nur mit mehr Personal
zu schaffen. Doch hier hapert es nicht nur in Köln. Über Jahre
wurden in den Stadtplanungsämtern Mitarbeiterstellen abge-
baut. Wenigstens das ist zum Stillstand gekommen. Aber im
Wettbewerb mit der zahlungskräftigen Wirtschaft richtig gutes
Personal zu finden ist auch für die Verwaltung eine Herausfor-
derung. Regula Lüscher hatte sich als stellvertretende Direkto-
rin in Zürich einen exzellenten Ruf erworben, als sie 2007 die
Nachfolge von Hans Stimmann als Berliner Senatsbaudirektorin
antrat.
EINE RIESENGROSSE AUFGABE
In ihre Zeit fällt die Hinwendung
zu einer mutigen, zeitgenössischenArchitektursprache. Auch das
Baukollegium hat sie ins Leben gerufen. Aber Berlin macht es
ihrer Ms. Marvel schwer. In der Stadt besitzen alle Bezirke eigene
Stadtplanungsämter und auch die Bundesregierung setzt im zen-
tralen Bereich ihre eigenenThemen durch. So ist zumBeispiel der
Wiederaufbau des Stadtschlosses eine Bundesangelegenheit. Und
Bebauungspläne werden in der Regel auf Bezirksebene aufgestellt.
Gerade hier ist die Lücke zwischen den im Senat erkannten Be-
dürfnissen einer wachsenden Stadt und dem politischen Provin-
zialismus in den Bezirksämtern besonders groß.
Für jedenTheaterintendanten ist es selbstverständlich, dass er
sich bei Amtsantritt sein Ensemble selber zusammenstellen kann.
Nicht so für Senatsbaudirektoren, die als Beamte an die Richtli-
nien der Verwaltung gebunden sind und nur in Ausnahmefällen
ihr Team nach eigenen Vorstellungen zusammenstellen können.
Für mich völlig unverständlich, wie Berlin, hier stellvertre-
tend für viele andere Städte, mit seinen Zukunftsthemen um-
geht. Geradezu fahrlässig, wie die Politik Stück für Stück diese
lebensnotwendige Schlüsselposition immer weiter beschnei-
det. Tempelhofer Feld, Volksentscheid vergeigt. Internationale
Bauausstellung, abgeblasen. Heute sollen die gemeinnützigen
Wohnungsbaugesellschaften riesige Quartiere entwickeln, aber,
Hauptsache schnell, alles geht auch ohne Wettbewerbe.
Für die laufenden Koalitionsverhandlungen wünsche ich den
Parteien eine Besinnung auf das, was wirklich nottut. Dazu zählt
eine Strukturreform, die die Planungsaufgaben zwischen Bezir-
ken und Senat neu regelt und die Stärkung der Position der Se-
natsbaudirektorin angeht. Denn auch eine Superheldin ist allein
gegen den Rest der Welt machtlos.
Jeder Theaterintendant kann sich bei Amtsantritt sein Ensemble zusam-
menstellen. Nicht so der Senatsbaudirektor. Fahrlässig, wie die Politik
diese lebensnotwendige Schlüsselposition immer weiter beschneidet.
«
ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.