Immobilienwirtschaft 4/2015 - page 12

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Markt & Politik
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Die Dritte Industrielle Revolution
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interview
wird der Markt für Hausspeichersysteme
in Deutschland von heute etwa 15.000
Einheiten auf über 110.000 Einheiten im
Jahr 2020 wachsen. Ein wichtiger Markt-
treiber sei die ab 2017 geplante Nachrü-
stung von bestehenden Photovoltaik-An-
lagen mit Stromspeichern. Für wichtiger
als den Einbau von Hausstromspeichern
halten Experten den Ausbau von Orts-
netzspeichern, da diese einen höheren
wirtschaftlichen Nutzen hätten als dezen-
trale Kleinspeicher.
Auch in einem Privathaus könne sich
ein Stromspeicher bald lohnen, wennman
das richtige System wählt, so vor Kurzem
der VersorgerWemag auf einer Pressekon-
ferenz. Er hat einen Stromspeicher entwi-
ckelt, der mit kostengünstigen Lithium-
Ionen-Gebrauchtakkus funktioniert. Die
einfachste und wirtschaftlichste Form der
Energiespeicherung sei heute jedoch die
Umwandlung von Strom in Wärme, so
die oben erwähnte Studie „Zukunft der
Energiespeicher bis 2020“ vonTechnomar.
Wärme statt Strom
Das sieht auch Frank
Talmon l’Armée, Geschäftsführer der Epp-
le-Holding in Heidelberg, so. „Gebäuden
wird künftig eine entscheidende Rolle bei
der Speicherung von Energie zukommen“,
meint er. Statt Stromspeichern würden
jedoch die technisch wesentlich leichter
zu beherrschenden Wärmespeicher eine
immer größere Rolle spielen. Damit rücke
die Vakuumdämmung von Wärmespei-
chern plötzlich in den Fokus. Mehr zu
den Möglichkeiten der Speicherung von
Wärme im nächsten Heft.
Thomas Reisz, EnergieAgentur.NRW.de
Die „Dritte Industrielle Revolution“ bedeutet nicht, dass bald in jedem Keller
eine Brennstoffzelle als Heizung arbeiten wird. Das kann Jeremy Rifkin auch
nicht gemeint haben. Gebäude sollen Kraftwerke, unstete Energie soll gespei-
chert werden, dem Wasserstoff soll eine Schlüsselrolle zukommen!
Gebäude als system
Spätestens seit der Energieeinsparverordnung werden
Gebäude in Deutschland als System bewertet. Und die Energieversorgung
ist idealtypisch das Ergebnis einer Abwägung verschiedener Faktoren wie
zum Beispiel des Zustands der Gebäudehülle, des Heizwärmebedarfs, bereits
vorhandener Versorgungsstrukturen – und der Wirtschaftlichkeit. Je nach-
dem kann das Ergebnis einer Analyse des Systems sein, dass Wasserstoff und
Brennstoffzelle (derzeit) vielleicht nicht die geeignete Technik zur Bereit-
stellung von thermischer (und elektrischer) Energie für das Gebäude sind –
sondern Holzpellets, Fernwärme, Wärmepumpe oder ein Blockheizkraftwerk
auf Erdgasbasis.
Brennstoffzelle als reale Option
Den technischen Voraussetzungen, dass
Wasserstoff diese ihm von Rifkin zugedachte Rolle übernehmen kann, nähert
man sich inzwischen allerdings an. Brennstoffzellen als Energiezentrale eines
Einfamilienhauses befinden sich im Feldversuch, erste Hersteller bieten Seri-
engeräte an. Mit der Serienfertigung ist wiederum eine Voraussetzung für die
wirtschaftliche Machbarkeit erfüllt. Dabei werden verschiedene Brennstoffzel-
lensysteme eingesetzt, die mit unterschiedlichen Temperaturen laufen, um die
Grundlasten des Gebäudes abzudecken. In Deutschland sind bald die ersten
1.000 Brennstoffzellen-Anlagen im Einsatz. Für Einfamilienhäuser sind sie ab
rund 20.000 Euro zu bekommen, für kleine Gewerbebetriebe ab 25.000 Euro.
Brennstoffzellen sind damit nicht mehr nur abstrakte Objekte, sie sind eine
(Handlungs-)Option geworden. Trotzdem gilt: Jede Technik ist nur so gut wie
die Kultur, die sie anwendet.
Fähigkeit zur Revolution?
Es ist Kultur, Probleme durch Technik lösen zu
wollen. Wasserstoff für die Heizung im Keller (und Internet) ist deshalb weni-
ger Revolution, es ist dann schon eher Tradition. Oder – vom mittelalterlichen
Mönchstum und Calvinismus ausgehend – vielleicht sogar Religion (Fort-
schrittsglaube), wenn es gilt, die unvollendete Schöpfung (creatio continua)
mit Hilfe von Technik endlich zu vollenden. Vom historischen Begriff der
„Industriellen Revolution“ aus gedacht reicht es jedenfalls nicht, die eine durch
die andere Technik zu ersetzen.
Wir werden vielleicht bald die technischen Möglichkeiten zur Veränderung
besitzen, aber nicht die mentale Fähigkeit zur „Revolution“ (zur Begrenzung
des Verbrauchs, zur Änderung des Habitus). In der Praxis drückt sich das da-
rin aus, dass wir in Deutschland rund 21 Millionen Heizungen betreiben und
jährlich ca. 2,5 Prozent der Altanlagen durch neue ersetzt werden. Vorausge-
setzt, die neuen Anlagen nutzten erneuerbare Quellen in Kombination mit
Wasserstoff, bräuchten wir bei dieser Dynamik einen noch weitere rund 42
Jahre anhaltenden „revolutionären“ Eifer – oder Geduld.
Kommentar
Technik allein macht
keine Revolution
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Dirk Labusch, Freiburg
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In unserer Gruppe InDIR:A geht es um die
Frage, inwieweit Sie die Thesen von Rifkin
teilen. Welche Bedeutung haben sie für die
aktuelle Diskussion zum Thema „Energie“?
Und was bedeuten die Thesen tatsächlich
für die Immobilienwirtschaft?
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