Immobilienwirtschaft 11/2015 - page 63

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1.2015
Schneider:
… Die Kunden bestimmen
ihr Geschäft – das steht doch außer Frage!
Unsere Kunden haben eine Vorstellung,
wie sie ihre Kunden zufrieden machen
können. Und wir Hersteller können da
sicherlich mit mehreren Optionen dazu
beitragen ...
Dr. Thies:
… die Innovationen kommen
eher von uns Herstellern, da bin ich ganz
bei Herrn Kramer. Wir treiben die tech-
nischen Möglichkeiten zusammen mit
einem funktionierendenGeschäftsmodell,
sonst wird es ja nicht nachhaltig. Das ver-
setzt uns in die Lage, Dinge eben anders zu
machen. Es gilt der Ausspruch von Henry
Ford: „Hätte ich meine Kunden gefragt,
hätten sie sich ein schnelleres Pferd ge-
wünscht.“ Das Auto wäre nicht entstan-
den. Wenn ich die Zurückhaltung vieler
Wohnungsunternehmen in Bezug auf die
Digitalisierung sehe, dann erwarte ich
nicht, dass sie die Digitalisierung auf
Schneider:
EinBeispiel: In Schweden –wo
wir auch aktiv im Geschäft sind – bietet
jedes Wohnungsunternehmen auf der
Homepage denMietern beimEinzug viele
individuelle Angebote.WelcheWandfarbe
und welchen Fußbodenbelag sie wollen,
welche Möbel sie haben möchten und wie
sie diese bezahlen wollen – als Einmalzah-
lung oder als Aufschlag auf die Miete. Das
ist dort bereits Standard. In Deutschland
findet man aktuell nur wenigeWohnungs-
unternehmen, die Ähnliches anbieten. IT-
technisch sind solche Katalogservices kein
Hexenwerk – das könnenwir. Aber unsere
Kunden haben sich noch nicht entschie-
den, auch mit solchen Services Geschäft
zu generieren.
Dr. Thies:
Das ist eine Frage des tatsäch-
lich empfundenen Vorteils. Unter Um-
ständen wünschen die Mieter eines Woh-
nungsunternehmens mit Durchschnitts-
alter um die 60 kein Kundenportal, weil
sie ihre Skatrunde lieber über einen Aus-
hang komplettieren als über ein soziales
Netzwerk im Internet. Im gewerblichen
Bereich laufen die Entscheidungen für
oder gegen den Datenaustausch über ein
Portal vor allem nach wirtschaftlichen
Kriterien ab.
Schneider:
Man darf auch nicht verges-
sen: In zehn Jahren sind die, die heute 50
sind, 60 – und die bringen dann schon
ganz andere digitale Voraussetzungenmit.
Einer unserer Kunden vermietet 30.000
Studentenappartements in den Nieder-
landen, da wird über Digitalisierung gar
nicht gesprochen – sie wird einfach vo-
rausgesetzt. Der Student macht dort al-
les online. Er kommt nur einmal vorbei,
um seinen Türöffnungschip abzuholen.
Alles andere zwischen Ein- und Auszug
läuft übers Internet, zumeist mit mobilen
Endgeräten. Anhand solcher Kunden kön-
nen wir zeigen, was heute schon geht. Das
findet auch großes Interesse bei anderen
Unternehmen.
Wenn wie im genannten Beispiel die
Studenten alles mobil und online ma-
chen wollen, ist es dann nicht sogar
der Kundenkunde, sozusagen von noch
einer tieferen Ebene, der dies alles aus-
löst?
Kramer:
Nein, ich sehe dieVerantwortung
ganz klar bei uns Herstellern. Das heißt,
wir müssen auch den Kunden des Kunden
Produkte und Lösungen zur Verfügung
stellen, die einfach, bezahlbar und zu Ende
gedacht sind. Wie weit Unternehmen bei
Innovationen gehen wollen, ist unter-
schiedlich. Ich erlebe da viel Offenheit
imMarkt. Doch die Hauptverantwortung
sehe ich bei den IT-Unternehmen selbst.
Wir müssen von Natur aus innovativ sein!
Wie drückt sich das aus?
Kramer:
Wir selbst müssen Mut bewei-
sen. Selbstverständlich macht der Staat
auchmal Gesetze undwirmüssen entspre-
chend reagieren. Aber umeine Innovation
handelt es sich dabei nicht. Einer wirk-
lichen Innovation wohnt das Risiko inne.
Und das ist vielleicht die Schwierigkeit für
größere Unternehmen. Kleinere, flexiblere
Unternehmen können dies vielleicht eher.
Und doch sieht man amBeispiel Amazon:
Der Dienst funktioniert auch ohne Tele-
fonnummer. Und zum Beispiel Schweden
sage ich: Mieterportal ist out –Kundenapp
ist in. In Deutschland hat das Smartphone
fast alle anderen Geräte abgelöst, um ins
Internet zu gehen.
Gilt das für alle Altersgruppen?
Kramer:
Die ganze Diskussion, wie alt je-
mand ist – ich muss das mal so deutlich
sagen –, die finde ich mittlerweile lang-
weilig. Das ist einfach nicht der Punkt!
Wir müssen als IT-Hersteller einfach Lö-
sungen entwickeln, die man versteht, die
man benutzt und die etwas anders sind als
vorher – nämlich besser.
Wenn die Kundenapp in ist – ist das
nicht doch Zeichen für die Macht des
Kunden?
Kramer:
Sag ich ja! EinMieterportal ohne
eine Kundenapp ist totaler Quatsch! Und
plötzlich den Mieter mit seinem Wunsch
für die individuelle Wandfarbe als Kun-
den zu entdecken, ist jetzt keine wirkliche
Innovation...
„Das Internet der Dinge
generiert plötzlich ganz
andere Daten und inte-
griert neue Player ins
digitale Ökosystem. Das
ist eine Komplexität, die
förmlich explodiert.“
Dr Carsten Thies,
Haufe Gruppe
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