Immobilienwirtschaft 05/2015 - page 17

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5.2015
Stadtentwicklung im Konsens?
Bürgerbeteiligung im Spannungsfeld
I
n der integrierten Stadterneuerung ist Bürgerbeteiligung längst etabliert. Doch hier
geht es meist umdie informelleMitwirkung der Bewohner bei der Ausweitung lokaler
Angebote und die Gestaltung des öffentlichen Raums. Auch in der klassischen Bau-
leitplanung ist die Beteiligung gesetzlich verankert, erweist sich allerdings als struktur-
konservativ und ist meist „weit weg“ vomBürger. Noch wenig verbreitet sind intensivere
Beteiligungsprozesse bei größerenNeubauprojekten oder Nachverdichtung. ErsteMedi-
ationsverfahren zeigen, wie Konfliktlösung durchMediation erfolgen kann. Aber braucht
es erst einen Streit der beteiligten Gruppen, damit Vereinbarungen getroffen werden?
Partizipation bedeutet in erster Linie, dass verschiedene Interessen gesammelt und
abgewogen werden, um eine endgültige Planungsvariante festzulegen. Bürgerbeteili-
gung ist aber keinWunschkonzert. Ihre Stärke liegt vielmehr in konstruktive, aber auch
kontroverser Diskussion um Lösungen. Bürgerentscheide können hier eher stören. Sie
werden als Konsensentscheidung zur Befriedung strittiger Vorhaben gehandelt. In der
Realität geht der Konflikt jedoch oft weiter. Außerdem erfordern solche Entscheide eine
„Ja/Nein-Entscheidung“, die der Komplexität der Stadtentwicklung kaum gerecht wird.
„Die bürger“ gibt es nicht.
Mit Blick auf unsere Gesellschaft bilden „die Bürger“ heute
keine homogene Einheit mehr. Mit dem steigenden Anteil älterer Menschen wächst der
Wunsch nach Bestandssicherung und Bewahrung. Junge Menschen dagegen nehmen
demokratische Prozesse häufig als langwierig, intransparent und ohne wirkliche Ge-
staltungsmöglichkeiten wahr. Und eine „schweigende Mehrheit“ fühlt sich bei Beteili-
gungsverfahren erst gar nicht angesprochen. Um eine „Elitedemokratie“ zu vermeiden,
sollten auch jene Gruppen angehört werden, die sich nicht so lautstark zuWort melden.
Trotz Aufwand rechnet sich die kooperative Stadtentwicklung: Kommunen haben
dieMöglichkeit, sie über städtebauliche Verträge zu finanzieren, für Investoren bedeuten
sie eine größere Planungssicherheit. Und entgegen vieler Vorurteile können in der Praxis
die Planungsprozesse beschleunigt werden, da die Projekte amEnde von einer Mehrheit
mitgetragen werden und sich weitere Verzögerungen in der Realisierung vermeiden
lassen. Außerdem profitieren Investoren durch kreative weitere Ideen.
Für die erfolgreiche Gestaltung kommt es auf zwei Dinge an: das passende Verfahren
und die Rückkopplung in die Politik. Kooperative Stadtentwicklung sollte imFormat an
das jeweilige Vorhaben angepasst werden. Auch niedrigschwellige Angebote wie Feste,
Wettbewerbe oder Tage der offenen Tür können zumEinsatz kommen. Alle eingehenden
Ideen sollten ernst genommen und geprüft werden, selbst wenn nicht alle realisiert
werden können. Wichtig ist zudem, die Rahmenbedingungen frühzeitig zu kommuni-
zieren, Grenzen klarzumachen und unrealistische Vorstellungen zu entkräften. Letztlich
kommt es aber darauf an, dass die Politik ihre Steuerungs- und Entscheidungsfunktion
wahrnimmt und kontroversen Debatten mit der Bevölkerung nicht ausweicht. Die Ge-
meinde- und Stadträte sollten die Ergebnisse der Beteiligungsprozesse aufgreifen und auf
dieser Basis klare Entscheidungen treffen, selbst wenn es nach wie vor einzelne Gegner
gibt. Gerade kurz vor den Wahlen scheuen Politiker jedoch umstrittene und unpopu-
läre Entscheidungen und nehmen dann die notwendige Führungsfunktion nicht wahr.
Der Deutsche Verband hat in seiner Arbeitsgruppe Städtebau/Raumordnung ein
Thesenpapier erarbeitet, das Voraussetzungen und Verfahren für eine erfolgreiche Bür-
gerbeteiligung zusammenfasst.
Immobilien- und Stadtent-
wicklungsvorhaben sehen
sich immer häufiger ve-
hementen Widerständen
aus Teilen der Bevölkerung
ausgesetzt. Oft scheitern
dadurch bereits beschlossene
Projekte. Welche Rolle kann
Bürgerbeteiligung angesichts
dieser Situation spielen?
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Foto: Deutscher Verband
Christian Huttenloher ist Generalsekretär des
Deutschen Verbands für Wohnungswesen,
Städtebau und Raumordnung e.V. in Berlin.
Christian Huttenloher, Berlin
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