MARKT UND MANAGEMENT
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7|2019
Europaserie
Siedlungen für Menschen, nicht für die Rendite –
das Beispiel Schweiz
Die Schweiz, das sind Banken, Berge, hohe Lebensqualität – und hohe Mieten, zumindest in den Städten.
Mit welchen Modellen gelingt es unseren Nachbarn, trotzdem bezahlbaren Wohnraum zu realisieren? Diese
Frage führt uns im dritten Teil unserer Europaserie mit der European Federation for Living nach Zürich.
Der großen Mehrheit der Schweizer Bevölkerung
steht heute qualitativ guter und auch bezahlbarer
Wohnraum zur Verfügung. Allerdings sind nicht
nur in großen Zentren und Ballungsräumen die
Wohnungs- und Mietpreise stark angestiegen.
Neben den großen Städten wie Zürich, Genf, Lau-
sanne und Basel haben nun auch kleinere Gemein-
denmit den Effekten steigender Wohnungspreise,
etwa einer sich verändernden Bevölkerungsstruk-
tur durch Gentrifizierungs- und Segregationspro-
zesse, zu kämpfen. In wachsenden Stadtregionen
mit angespanntem Wohnungsmarkt haben es
gerade Haushalte mit niedrigerem Einkommen
schwer, ein angemessenes Wohnangebot in zen-
traleren Lagen zu finden undmüssen in periphere
Lagen ausweichen. Zunehmend sind auch Haus-
halte mit mittleren Einkommen betroffen. Einige
größere Schweizer Städte – wie Zürich – verfügen
aber auch über eine lange Tradition von kommu-
nalemund genossenschaftlichemWohnungsbau,
der die Spekulation mit Boden und Immobilien
ausbremst. Die Genossenschaften spielen eine
wichtige ausgleichende Rolle auf demWohnungs-
markt.
Die Schweiz: ein Volk von Mietern
Schweizer Haushalte mieten weitaus häufiger als
sie Wohneigentum besitzen. Der Anteil an Wohn-
eigentum in der Schweiz ist im europaischen Ver-
gleich deutlich am geringsten. Bis in die 1990er
Jahre lag über Jahrzehnte die Verteilung bei 30%
Dr. Marie Glaser
Leitung
ETH Wohnforum – ETH CASE
ETH Zürich
Zürich
Eigentum und 70% Miete. Nach 1990 nahm die
Wohneigentumsquote gesamtschweizerisch je-
doch zu.
Mehr als die Hälfte der Wohnungen werden von
Mietern bewohnt. Trotz beständig tiefer Hypo-
thekenzinsen braucht es ein gewisses Einkommen
und vor allem Vermögen, um einen Wohnkredit
zu erhalten. Die Immobilienpreise und Mietzin-
sen steigen seit dem Immobiliencrash Anfang der
1990er Jahre stetig an. Ende 2015 lebten 2,1Mio.
Haushalte in Mietwohnungen und 1,4 Mio. Haus-
halte in einer eigenen Wohnung. Die Wohneigen-
tumsquote (38,4 % imJahr 2015) nimmt dennoch
gleichzeitig seit 1970 zu, mit großen regionalen
Unterschieden. Dies liegt vor alleman der starken
Zunahme der Wohnungen im sog. Stockwerkei-
gentum: Ihre Zahl stieg zwischen 1970 und 2016
um 86%, gerade in den großen Städten.
Überdurchschnittlich oft leben Paare – mit oder
ohne Kinder – in Wohneigentum. Ihre Wohnei-
gentumsquote ist mit 50% bzw. 49% doppelt so
hoch wie bei 1-Personen-Haushalten (23%) und
1-Eltern-Haushalten (30%). Dies mag mit den
finanziellen Möglichkeiten zu tun haben, die sich
speziell Paaren bieten (mehr als ein Einkommen).
DieWohneigentumsquote hängt jedoch stark von
Alter und Nationalität der Haushaltsmitglieder
ab. Trotz aller Änderungen leben in der Schweiz
weiterhin 55 von 100 Familien in einem Einfa-
milienhaus.
Wohnungsbestand
: 4,5 Mio. WE
Eigentumsquote
: 38%
Haushalte
: 35% 1-Personen-Haushalte, 33% 2-Personen-Haushalte,
13% 3-Personen-Haushalte, 19% Sonstige
Vermieter
: 48% privat, 33% unternehmerisch (Versicherungen, Pensionskassen,
Stiftungen, Banken, Anlagefonds etc.), 8% Wohnbaugenossenschaften, 6% Baufirmen
oder Immobiliengesellschaften, 5% öffentliche Hand
DER SCHWEIZER WOHNUNGSMARKT
Wohnungsbestand
: 220.000 WE
Eigentumsquote
: 8,1%
Haushalte
: 45% 1-Personen-Haushalte, 15% 2-Personen-Haushalte,
25% Haushalte mit Kindern, 15% Sonstige
Vermieter
: 47% privat, 28% gemeinnützig (kommunal und genossenschaftlich),
20% unternehmerisch (Pensionskassen, Banken etc.)
DER ZÜRCHER WOHNUNGSMARKT
Quelle: Statistik Stadt Zürich
Quelle: Bundesamt für Statistik