54
7|2019
der Denkweise ist auch das Ergebnis der Abkehr
von der Wohnungsgemeinnützigkeit vor etwa 30
Jahren.
Inwieweit sind gesetzlich höhere Anforde-
rungen und politisch höhere Forderungen an
Neubau- und Modernisierungsmaßnahmen
mit dem Kernziel, bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen, vereinbar?
Ebrecht:
Einerseits soll der Klimawandel gebremst
werden, andererseits preisgünstiger Wohnraum
geschaffen werden. Das beißt sich, denn erfor-
derlich sind ganzheitliche Maßnahmen und vor
allem energetische Quartierskonzepte – und die
sind häufig sehr kostspielig. Unser Anliegen an
die Politik ist es, dass transparent dargelegt wird,
was die Wohnungswirtschaft schon heute leistet
und in welchen Sektoren tatsächlich der größte
Handlungsdruck besteht. Ferner sollten die facet-
tenreichen Anforderungenmehr Struktur erfahren
undwechselseitig beleuchtet werden, damit diese
letztlich greifbar sind und in eine Strategie über-
führt werden können.
Wie gehen Sie mit der Anforderung um, bei
möglichst geringen Auswirkungen auf die
Miethöhe energetisch zu modernisieren?
Ebrecht:
Wir schaffen diesen Spagat wie andere
Unternehmen nur, indem wir nicht alles umle-
gen. An einem Beispiel aus der Praxis wird das
deutlich: Die eigentliche Mieterhöhung nach der
Modernisierung eines größeren Objekts hätte bei
6 € liegen müssen. Wir haben aber beschlossen,
bei 1,50 € zu kappen, um unsere Bewohner vor
zu großenMietsprüngen zu bewahren. Sie können
sich vorstellen, was das für die Wirtschaftlichkeit
bedeutet, kurz- wiemittelfristig. Als große Genos-
senschaft mit umfangreichemWohnungsbestand
können wir jedoch auf langfristige Sicht rechnen.
Denn die Förderung unserer Mitglieder verstehen
wir als Primärziel und Auftrag unserer genossen-
schaftlichen Geschäftsidee.
Wie zeichnen sich Ihre Neubauprojekte im
Hinblick auf Nachhaltigkeit aus?
Große-Wilde:
Unsere Neubaumaßnahmen sind
Nachhaltigkeit pur, da sie hinsichtlich der Bau-
form, Zielgruppe sowie der angebotenen Wohn-
modelle imGesamtzusammenhang des Quartiers
geplant sind. DieMaterialwahl und auch das Ener-
gie- und Wohnumfeldkonzept sind auf Ressour-
censchonung und Qualität ausgerichtet. Stark
steigende Baulandpreise sowie aktuell hohe Bau-
kosten belasten die Projektrentabilität. Im Wett-
bewerb um baureife Grundstücke sind wir i. d. R.
auf Konzeptvergaben (siehe auch S. 18 in dieser
DW) angewiesen, bei denen nicht der gewinnt, der
den höchsten Preis bietet, sondern das Projekt,
das den meisten Mehrwert für das Quartier oder
den Stadtteil verspricht.
Was konkret haben Sie in diesem Jahr mit
Blick auf eine Vertiefung und Verwurzelung
des Nachhaltigkeitsgedankens vor?
Ebrecht:
Verstärkt wollen wir uns Prozessabläu-
fen und der Entwicklung von Nachhaltigkeits-
kennzahlen widmen. Denn auch Nachhaltigkeit
muss messbar sein, damit wir Einfluss nehmen
können – beispielsweise auf unseren CO
2
-Ausstoß
oder unseren Gesamtenergieverbrauch – und
handlungsfähig sind. Auchmöchtenwir vergleich-
bare Kennzahlen mit der Branche entwickeln, die
ein Benchmarkmit anderen Unternehmen ermög-
lichen. Bisher ist es schwierig, Nachhaltigkeits-
maßnahmen verschiedener Unternehmen aus der
Branche zu vergleichen.
Große-Wilde:
Wir sind dazu mit vielen Partnern
in der Branche in Gesprächen, national wie in-
ternational. Im Genossenschaftsbereich sind wir
auf jeden Fall einer der Vorreiter und gehörten
zu den ersten Unternehmen, die eine Nachhal-
tigkeitszertifizierung angestrebt haben. Die dafür
notwendige strukturierte, ganzheitliche Vorge-
hensweise befürworten wir. Für die Sparbau wird
es das Thema Nachhaltigkeit nicht in einer „Light-
Version“ geben!
Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Kristina Pezzei.
Der Nachweis einer nachhaltigen Unterneh-
mensführung wird für Wohnungsunterneh-
men immer wichtiger. Zur Nachhaltigkeits-
berichterstattung gegenüber Stakeholdern
hat der GdW Bundesverband deutscher
Wohnungs- und Immobilienunternehmen
e. V. 2014 mit der Arbeitsgemeinschaft
Großer Wohnungsunternehmen (AGW) und
dem Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE)
eine auf die Wohnungswirtschaft ausge-
richtete branchenspezifische Ergänzung
des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK)
vorgenommen. Hierzu wurde ein Leitfaden
entwickelt, der Wohnungsunternehmen
als Orientierungshilfe dient und ihnen ein
Instrument zur Beantwortung der DNK-
Kriterien an die Hand gibt:
web.gdw.de/
uploads/pdf/publikationen/vollversion/
DNK_Leitfaden.pdf
NACHHALTIGKEITSKODEX
MARKT UND MANAGEMENT
Florian Ebrecht
Franz-Bernd Große-Wilde
Ebrecht:
Unsere Geschäfts- und Kooperations-
partner leisten einen großen Beitrag und unter-
stützen uns in der Erfüllung unserer Nachhal-
tigkeitszielsetzungen. So kooperieren wir mit
etlichen Sozialdienstleistern, die gemeinsammit
uns einen großen Beitrag für unsere Mitglieder
leisten und gleichzeitig die sozialen Aspekte un-
serer Nachhaltigkeitsstrategie erfüllen.
Inwieweit hat sich dieses Dreieck der Nach-
haltigkeit in den vergangenen Jahren oder
vielleicht sogar Jahrzehnten verschoben?
Große-Wilde:
Am Genossenschaftsmodell be-
sticht über die Generationen hinweg die durch-
weg starke soziale Komponente. Früher wurde
tendenziell weniger wirtschaftlich argumentiert,
sondern eher mit dem Kerngedanken einer Kos-
tendeckung. Heute begründen sich Strategien
und Entscheidungen häufiger mit demGedanken,
Überschüsse zu erwirtschaften, um sie reinves-
tieren und so eine Wertsteigerung für das Unter-
nehmen erzielen zu können. Diese Änderung in