DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 7/2019 - page 61

Als europäischer Verband hören Sie von
Mitgliedern aus verschiedenen Ländern, wo
bei ihnen der Schuh drückt. Laufen sich alle
dieselben Blasen oder sind die Probleme eher
vielfältig?
Ein Großteil der sozialenWohnungsunternehmen,
die uns angehören, haben ihren Sitz in mittleren
und großen Städten. Demografische, aber auch
gesellschaftliche und ökonomische Trends sind
in solchen Städten in ganz Europa relativ ähn-
lich. Die Städte ziehen insbesondere jüngere und
kleinere Haushalte an, sowohl besser Situierte
mit wachsenden Einkommen als auch Personen
mit geringeren Einkommen, die auf bezahlbares
Wohnen angewiesen sind. Wir beobachten in der
Folge eine gewisse Dichotomie: Wohlhabende und
weniger gut Verdienende leben in den Städten,
Haushalte mit mittleren Einkommen leben eher
in den Vororten.
Der Druck auf dieWohnungsmärkte hat innerhalb
der Städte enormzugenommen, was dazu geführt
hat, dass der Anstieg der Wohnkosten weit über
der Inflation liegt. Dieser Trend, der sich z.B. in der
Schweiz in Städten wie Zürich abzeichnet, findet
sich auch in anderen europäischen Metropolen.
Der Bedarf an neuem, speziell bezahlbaremWohn-
raum ist überall groß. Aber die Herausforderungen
für sozial orientierteWohnungsunternehmen sind
es auch, weil öffentliche Gelder bzw. andere Mit-
tel, Mieten klein zu halten, in denmeisten Ländern
längst nicht ausreichen.
Steigende Baukosten, Grundstückspreise und zu
geringe finanzielle sowie personelle Ressour-
cen bedingen die Situation, die Leute vielerorts
„Wohnungsnot“ nennen. Und die fehlenden neuen
Wohnungen sind nur die eine Seite, auch in den Be-
stand muss investiert werden, gerade angesichts
der Klimaziele, während die Mieten natürlich nur
bedingt erhöht werden können. Hinzu kommen
Entwicklungen wie der demografische Wandel,
die ihrerseits neue Bedürfnisse hervorrufen, auf
die Wohnungsunternehmen reagieren müssen.
Man könnte schon sagen, dass unsere Mitglieder
den gleichen Schuh tragen, obwohl es natürlich
nationale Unterschiede gibt und er bei jedem
etwas anders drückt. Das Schaffen und Halten
von bezahlbarem Wohnraum funktioniert nicht
in jedem Land gleich. Aber die gesellschaftlichen
Herausforderungen sind es schon. Das ist der
Vorteil, den wir bei der EFL haben: Wir kennen
die Herausforderungen, aber eben auch die ver-
schiedenen Lösungsansätze der einzelnen Länder.
Worin unterscheidet sich der Schweizer
Wohnungsmarkt am stärksten vom deut-
schen, besonders beim bezahlbaren Wohnen?
Das Bereitstellen und die Organisation bezahlba-
ren Wohnraums ähneln sich zwischen Deutsch-
land und der Schweiz tatsächlich sogar mehr als
zwischen anderen Ländern. Ein Unterschied ist
aber, dass die Schweiz noch gemeinnützige Woh-
nungsunternehmen hat, während das deutsche
Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz Ende 1989
abgeschafft wurde. Ein weiterer Unterschied ist,
dass Sozialwohnungen in Deutschland nach der
Tilgung aus der Sozialbindung fallen. Dadurch ent-
fallen Mietbegrenzungen und Belegungsrechte,
viele Wohnungen kommen auf den freien Markt.
In der Schweiz sind Sozialwohnungen bzw. deren
Status als solche gesichert, ebenso wie in vielen
anderen europäischen Ländern.
Aber einige Gemeinsamkeiten gibt es auch.
Die gibt es, so zeichnen sich z. B. sowohl der
Schweizer als auch der deutscheWohnungsmarkt
durch einen hohen Mietwohnungsanteil aus. In
den meisten europäischen Ländern, z.B. in den
Niederlanden, Großbritannien, Frankreich und
Italien, ist das anders, dort ist der Anteil der Ei-
gentümer höher. Außerdem spielen in der Schweiz,
genausowie in Deutschland, dieWohnungsgenos-
senschaften eine große Rolle, die in beiden Län-
dern besonders auch einkommensschwächeren
Haushalten Wohnraum zur Verfügung stellen.
Hand auf’s Herz, wo kann Deutschland in
Sachen bezahlbares Wohnen noch von seinen
Schweizer Nachbarn lernen?
Man kann immer von anderen lernen. Ich den-
ke, in Deutschland ist es besonders wichtig, den
Bestand an Sozialwohnungen zu schützen und
entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um
den Verlust weiterer bezahlbarer Wohnungen zu
verhindern. Der Zürcher Weg könnte hierfür als
gutes Beispiel dienen. Kommunale Wohnungs-
unternehmen und Wohnungsgenossenschaften
werden bei der Grundstücksvergabe besonders
berücksichtigt, die Stadt ist außerdem in dieWahl
der Architekten und Entwicklungsgesellschaften
involviert. Ähnlich wie etwa in Wien.
Der große Vorteil in Deutschland ist, dass sowohl
nationale als auch internationale Investoren ein
großes Interesse an bezahlbarem Wohnraum ha-
ben. Das große Angebot an Investitionsgeldern,
vorausgesetzt, es wird in die richtigen Bahnen
gelenkt und es besteht ein ausreichender Mie-
terschutz, könnte den Wohnungsbau ankurbeln
und dem Wohnungsmangel entgegenwirken. Die
finanzielle Liquidität des Wohnungsmarktes wird
oft als Bedrohung angesehen, aber unter den rich-
tigen Bedingungen kann es auch ein Vorteil sein,
wenn das Interesse von Investoren geweckt wird
und sie in neue Wohnungen investieren. Diese
Möglichkeiten sind in der Schweiz natürlich we-
niger ausgeprägt, weil der Wohnungsmarkt kleiner
ist.
Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Annika Klaußmann.
Interview mit Joost Nieuwenhuijzen
„Die finanzielle Liquidität des Wohnungs-
marktes wird oft als Bedrohung angesehen“
Als Managing Director des europäischen Interessenverbandes European Federa-
tion for Living (EFL) hat er einen guten Überblick über die Herausforderungen
und Möglichkeiten für Wohnungsunternehmen der verschiedenen Länder. Was
Deutschland noch von seinen Nachbarn lernen kann und warum internationale
Investoren eine Chance für den Wohnungsmarkt sein können, verrät er hier.
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