Die Wohnungswirtschaft 5/2018 - page 42

NEUBAU UND SANIERUNG
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5|2018
Psychologie am Bau
Die „Wahrheit“ über Kooperation und Teamspirit
Teamarbeit erlebt in der global geprägten Wirtschaft mal wieder eine Renaissance. Auch in der Bau-
branche ist allerorten von agilem Projektmanagement, Scrum oder BIM zu hören, womit sich viele
Hoffnungen auf die Begrenzung von Kosten, Zeit und Missverständnissen verbinden. Ein Blick in die
Praxis klärt, ob und wie realistisch solche Vorstellungen sind.
Die Praxis zeigt es immer wieder: WennMenschen
zusammenarbeiten, blühen auch Streit und Ab-
stimmungsprobleme. Zielorientierte Kooperation
scheitert meist nicht am guten Willen der Betei-
ligten, sondern an den Gesetzmäßigkeiten des
menschlichen Miteinanders. Aus diesem Grunde
lohnt der Blick auf zehn Hürden, die Menschen in
Teams erst einmal überwinden müssen.
Die Hürden
1. Ringelmann-Effekt
In den 1890er Jahren beobachtete Maximilian
Ringelmann ein Phänomen, dessen Gründe ihn als
Landwirtschaftsökonom nicht besonders interes-
sierten: Menschen stellen sich beim Lastziehen
ungeschickter an als Pferde und Ochsen. Je mehr
Menschen zur Gruppe der Lastziehenden hinzu-
stoßen, desto geringer wird der Krafteinsatz
jedes Einzelnen. Was in unseren teamduseligen
Zeiten befremdlich klingt, ist längst Gewissheit:
Die Gruppe ist zunächst einmal das, wohinter sich
der Einzelne versteckt, und zwar intuitiv und un-
terbewusst.
Gegen den Ringelmann-Effekt helfen nach heuti-
ger Kenntnis nur zwei Dinge: Neben der Attraktivi-
tätssteigerung für das zu erreichende Ziel gilt es,
den Beitrag des Einzelnen am Teamergebnis ihm
selbst (und anderen) transparent zumachen. Dies
ist nicht immer einfach, dafür aber stets aufwen-
dig. Doch der Mehraufwand lohnt sich, egal ob im
Projekt- oder Abteilungsteam.
2. Unübersichtliche Teamgrößen
Individuen bewegen sich in Gruppen, deren be-
vorzugte Größe artspezifisch ist. Für uns Homo
sapiens hat sich in den letzten Jahrtausenden
eine Gruppengröße bestätigt, über die hinaus
Separierungstendenzen Einzelner und somit die
Bildung von Subgruppen wahrscheinlich werden:
7±2 Mitglieder.
Kleinere Gruppen begünstigen Abhängigkeitsver-
hältnisse; die in Unternehmen weitaus häufiger
anzutreffende Großgruppe begünstigt Grüpp-
chenbildung und informelle Leiter. Abstimmungs-
probleme, Gegeneinander, Fluktuation, Krank-
meldungen und Qualitätseinbußen werden dann
gesetzmäßig. Jemehr es einemUnternehmen aber
auf Rendite ankommt, umso konsequenter setzt
es Gruppengrößen mit 7±2 Mitgliedern in jeder
Strukturebene um.
3. Kalkulierte Mindestleistung
Lebewesen auf unseremPlaneten bevorzugen Ein-
fachheit und Bequemlichkeit. Auchwir Menschen
sind nicht durch enorme Verausgabungsbereit-
schaft zur Krone der Schöpfung emporgestiegen.
Auch wir treiben nur den nötigsten Aufwand für
ein definiertes Ziel. Auch bei uns sind Faule evolu-
tionär imVorteil. Warum solltenwir diesen Vorteil
aufgeben, nur weil wir Mitarbeiter eines Bauun-
ternehmens sind?
ImGegenteil, viele Anreizstrukturen fördern unse-
re Tendenz zur kalkuliertenMindestleistung auch
noch. Der sozialistische Wettbewerb ist auch in
der sozialenMarktwirtschaft allgegenwärtig: Wer
macht für das gleiche Geld amwenigsten? Koope-
rative Verhaltensweisen bedeuten oft den unbe-
quemenWeg: Abstimmungmit demNachbarteam,
Austauschmit demnächsten Fachplaner? Alles mit
THEMA DES MONATS
Heiko Sill
leitender Organisationspsychologe
im Netzwerk „Intelligenz System
Transfer“
Potsdam
Der Ringelmann-Effekt besagt, dass Menschen in einer Gruppe eine geringere kollektive
Leistung erbringen als die erwartete Summe ihrer einzelnen Leistungen
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