DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 8/2017 - page 14

STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
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8|2017
Wie unterschiedlich die Bremer Ortsteile jedoch
tatsächlich sind, wird erst deutlich, wenn man die
einzelnen Dimensionen von Zusammenhalt ge­
nauer unter die Lupe nimmt. Dies zeigt sich zum
Beispiel beim „Vertrauen in die Mitmenschen“,
wie Abbildung 3 verdeutlicht. Hierfür wurden
die Teilnehmer der Studie u. a. gefragt, ob sie
glauben, dass man ihnen ihre Geldbörse nach ei­
nem Verlust in der Nachbarschaft zurückgeben
würde. Insgesamt waren sich drei Viertel aller
Befragten sicher, ihre Wertsachen zurückzube­
kommen. Jedoch fielen die Antworten in den
einzelnen Ortsteilen sehr unterschiedlich aus:
Während zum Beispiel imOrtsteil Buntentor 90%
der Befragten sicher waren, dass man ihnen ihre
Wertsachen zurückgeben würde, waren es in Ut­
bremen gerade einmal 43%. Offenbar sind es vor
allem Ortsteile mit vielen Wohneinheiten oder
starker Fluktuation, in denen es häufig schwierig
ist, seine Nachbarn kennenzulernen und Vertrau­
en aufzubauen.
Die Ergebnisse der Studie legen ortsteilspezifi­
sche Unterschiede offen, die wichtige Anhalts­
punkte für die Bedürfnisse der Menschen und
damit auch für geeignete Maßnahmen zur Ver­
besserung des Zusammenhalts liefern. Insgesamt
zeigt sich, dass jeder Ortsteil seine eigenen Stär­
ken und Schwächen aufweist, was den Zusam­
menhalt angeht. Es gibt weder Ortsteile, die auf
allen Dimensionen schlecht abschneiden, noch
Ortsteile, die durchgängig hervorragend daste­
hen. Dass Ortsteile mit hohem und niedrigem Zu­
sammenhalt häufig benachbart sind, spricht für
eine gesunde soziale Heterogenität in Bremen.
Die Kehrseite dieses durchweg positiven Ergeb­
nisses ist es jedoch, dass es keinen Königsweg zu
starkem sozialem Zusammenhalt auf Ortsteil­
ebene gibt. Weder wirtschaftliches Wohlergehen
oder eine hervorragende Infrastruktur vor Ort
(etwa gemessen an der Distanz zum öffentlichen
Nahverkehr), noch eine bestimmte Bebauungs­
struktur oder eine spezifische Zusammensetzung
der Bevölkerung garantieren hohen gesellschaft­
lichen Zusammenhalt.
Was erzeugt Zusammenhalt vor Ort?
Die Studie zeigt, dass für den Zusammenhalt in
einem Ortsteil besonders das dort vorhandene
kulturelle Kapital bedeutsam ist. Gemessen
wurde dies anhand der privaten Internetnutzung
sowie der durchschnittlichen Anzahl an Büchern
in den befragten Haushalten. Während Bücher
verlässlich Bildung als Lebensstil messen, ermög­
licht die Nutzung des Internets Zugang zu Akti­
vitäten, Aktionen und Veranstaltungen vor Ort.
Eine Erkenntnis der Studie ist dabei: Das Internet
macht ganz offensichtlich nicht einsam! Weiter­
hin sind die tatsächlich gelebten Kommunikati­
onsstrukturen entscheidend für das Ausmaß von
sozialem Zusammenhalt.
Es zeigte sich, dass es darauf ankommt, wie die
Menschen die Qualität und Intensität des nach­
barschaftlichen Miteinanders bewerten: Dort,
wo sich die Menschen kennen und dort, wo sie
wissen, dass es Nachbarschaftsaktivitäten gibt
und zufrieden mit dem Angebot sind, ist der
Zusammenhalt höher. Was also manchmal als
überflüssig verhöhnt wird‚ manchmal kühl mit
dem Begriff des Sozialmanagements belegt wird,
lohnt sich tatsächlich!
Welche Bedeutung hat Zusammenhalt?
Die vorliegende Studie bestätigt frühere Befun­
de, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt das
individuelle Wohlbefinden stärkt. Dort, wo in ei­
nemOrtsteil der Zusammenhalt hoch ist, sind die
Menschen zufriedener, glücklicher und gesünder.
Deshalb ist es vielleicht auch nicht überraschend,
dass die Menschen auch viel lieber in Ortsteilen
mit hohem Zusammenhalt wohnen.
Zwar ermöglicht die Studie keine einfachen Po­
litikempfehlungen für die Stärkung des Zusam­
menhalts. Geht es um Interventionsmöglichkei­
ten, müssen individuelle Stärken und Schwächen
eines Ortsteils bzw. einer Nachbarschaft berück­
sichtigt werden. Dennochwird deutlich, dass sich
genaues Hinschauen besonders für dieWohnungs­
wirtschaft lohnt, denn glückliche und zufriedene
Mieter, die gern in ihrer Nachbarschaft wohnen,
sind eine kluge Investition in die Zukunft.
Weitere Informationen:
bit.ly/sozialerZusammenhalt
Neubau und Sanierung
Energie und Technik
Rechtssprechung
Haufe Gruppe
Markt undManagement
Stadtbauund Stadtentwicklung
1
Arant, R., Larsen, M. & Boehnke, K. (2016). Sozialer Zu­
sammenhalt in Bremen. Gutersloh: Bertelsmann Stiftung
2
Schiefer, D. & van der Noll, J. (2016). The essentials of
social cohesion: A literature review. Social Indicators
Research. doi:10.1007/s11205-016-1314-5
3
Arant, R., Larsen, M. & Boehnke, K. (2016), S. 20
4
Dragolov, G., Ignácz, Z., Lorenz, J., Delhey, J., Boehnke,
K. & Unzicker, K. (2016). Social cohesion in the Western
world. What holds societies together: Insights from the
Social Cohesion Radar. Cham (CH): Springer International
STATEMENT DER AGWOHNEN BREMEN BREMERHAVEN
Professor Klaus
Boehnke von der
Jacobs Universität
sowie Thomas
Tietje und Thomas
Scherbaum von der
agWohnen (v. l.)
bei der Präsen­
tation der Studie
lassen – denn diese wirken sich förderlich auf die erlebte Intensität und
Qualität des Zusammenhalts aus. Sie führen zu einer höheren Zufriedenheit
und Zugehörigkeit.
Die kleinräumigen Profile der einzelnen Ortsteile bieten zudem im Detail
Auskunft über die Dimensionen gesellschaftlichen Zusammenhalts und
Hebel für die Arbeit der Wohnungsunternehmen.
Als Anbieter von über 63.000Wohnungen in Bremen und Bremerhaven ist
der unternehmerische Erfolg der zwölf Mitgliedsunternehmen der agWoh­
nen Bremen Bremerhaven (BREBAU, ESPABAU, GEWOBA, GWG Schönere
Zukunft, GWF, Stäwog, VBSG Bremen-Wesermünde, WGS, WoGe, Mie­
terbauverein sowie BWV und Eugen-Kulenkamp-Stiftung) stark mit der
Qualität des sozialen Miteinanders in den Nachbarschaften und Quartie­
ren verbunden. Ziel der Studie war es daher, den Wohnungsunternehmen
Anhaltspunkte für die Ausrichtung ihres Engagements in den Quartieren
und ihrer sozialen Leistungen zu geben.
Die zentrale Erkenntnis besteht für die agWohnen in der Aussage, dass die
Menschen lieber in Ortsteilenmit starkemZusammenhalt leben. Die gerade
in großen Städten oftmals vorhandene Anonymität werde von vielenMen­
schen nur hingenommen. Damit bleibe die Stärkung des Zusammenhalts
ein wichtiges Ziel für die sozialen Aktivitäten der Mitgliedsunternehmen,
die bisher schon aktiv Verantwortung für die Entwicklung der Quartiere
übernehmen, so BREBAU-Vorstandsvorsitzender Thomas Tietje in einer
Mitteilung für die agWohnen. Ansatzpunkte seien deshalb aktive Nach­
barschaften, die sichmittels Bildungs- und Begegnungsangeboten stärken
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