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5|2017
Entwicklungsgeschichte
Am Anfang der Entwicklung des Typenhauses
stand die Auseinandersetzung mit Berlins Ge-
schichte des Wohnungsbaus. Was ist in der Ver-
gangenheit besonders gut gelaufen und aus wel-
chen Fehlern kann man lernen? Welchen Einfluss
hatten Architektur und Städtebau auf die typische
Berliner Vielfalt und Toleranz, die die Stadt heute
so attraktiv und unverwechselbar machen? Wie
kann diesen Charaktermerkmalen durch Woh-
nungsneubau Kontinuität gegeben werden? Die
STADT UND LAND und MARS Architekten haben
sich auf die Suche nach Antworten gemacht und
zwei Gebäudetypen untersucht, die bis heute die
städtebauliche Struktur der Stadt dominieren:
das Berliner Mietshaus der Gründerzeit und der
industrielle Plattenbau aus der Zeit des Wieder-
aufbaus der DDR.
Das Berliner Mietshaus
Dieser Typ zeigte beispielsweise, dass durch eine
kompakte Blockbebauung sehr hohe städtebauli-
che Dichtenmit einer Geschossflächenzahl von bis
zu 4,0 erreicht werden können. Die Ausrichtung
an der Straßenfront führt allerdings in Verbindung
mit der Dichte zu teilweise schlechten Licht- und/
oder Belüftungsverhältnissen und teils zu reinen
Nord-Wohnungen. EinfacheWohnungenwechseln
sichmit ‚privilegierten‘ Wohnungen ab und sorgen
damit für eine soziale Durchmischung. Die Fassa-
den haben die gleiche Bauweise und Gliederung,
wurden aber unterschiedlich gestaltet. Es gab
hierzu z. B. einen Katalog an Stuck-Fertigteilen.
Ein abwechslungsreiches Erscheinungsbild sorgt
an den Standorten dieser Mietshäuser bis heute für
eine hohe Identifikation und Aufenthaltsqualität,
was letztendlich auch denWerterhalt der Gebäude
bis heute sichert.
Der industrielle Plattenbau
Die Lehren aus diesemTyp beziehen sich vor allem
auf die Kosten- und Zeitvorteile sowie die gerin-
gere Komplexität, die eine Standardisierung der
Bauplanung und -ausführung mit sich bringen.
Diese Vorteile kommen vor allem bei der Produk-
tion hoher Stückzahlen zur Geltung. Die Zeilen-
bauweise ermöglichte allerdings auch bei einer
hohen Anzahl von Geschossen eine nur geringe
städtebauliche Dichte. Der Bau einer hohen Anzahl
von Wohnungen würde in dieser Bauweise einen
unangemessen hohen Flächenverbrauch nach sich
ziehen. Für Akzeptanzprobleme sorgten das mo-
notone Erscheinungsbild und die daraus resultie-
rende mangelhafte Adressbildung. Diese Defizite
konnten auch durch nachträgliche Maßnahmen
wie Außenbereichs- oder Fassadengestaltung
kaum geheilt werden.
Bessere Erfahrungen gibt es in dieser Hinsicht mit
demQ3A-Gebäudetyp aus dem frühen industriel-
len Wohnungsbau der 1950er und 1960er Jahre
in der DDR. Diese Wohnungen werden noch heute
stark nachgefragt und sind sehr gut zu bewirt-
schaften. Die Flächeneffizienz, also das Verhältnis
zwischen Wohnfläche und Bruttogeschossfläche,
ist bei den industriellen Zeilenbauten zwar ver-
gleichsweise hoch, kann allerdings infolge heu-
tiger Schall- und Wärmeschutzbestimmungen
und wegen des Einbaus von Aufzügen nicht mehr
erreicht werden. Die Gebäudetiefen sind mit 10
bis 12 m aus heutiger Sicht unwirtschaftlich. Die
Flächeneffizienz ist zu gering und der Anteil der
teuren Außenwände ist durch eine geringe Gebäu-
detiefe unverhältnismäßig hoch.
Modulkonzeption mit Varianten
Die Ergebnisse des Rückblicks auf die Berliner
Historie des Städtebaus fanden Eingang in die
Konzeption des STADT-UND-LAND Typenhauses.
Dieses besteht aus einzelnen Gebäudemodulen,
die sich nach Bedarf aneinanderreihen und stapeln
lassen. Durch die Gebäudetiefe von rund 15mkann
eine höhere städtebauliche Dichte erzielt werden
als bei einer herkömmlichen Zeilenbebauung. Der
Flächenverbrauch ist dementsprechend geringer
und die Lebensqualität steigt durch kürzereWege.
Problemen bei den Lichtverhältnissen und der Be-
lüftung wurde durch die Entwicklung eines Ost-
West-Gebäudetyps, eines Nord-Süd-Gebäudetyps
und flexibler Ecklösungen vorgebeugt. Auch eine
aufgelockerte Bebauung mit mehreren Baukör-
pern ist ohne großen zusätzlichen Planungsauf-
wand möglich. Eine abwechslungsreiche Gestal-
tung kann durch Versatz der Gebäudesegmente
und durch unterschiedliche Fassadenelemente,
Applikationen, Fenstergrößen und -formate sowie
Balkonvarianten erreicht werden.
Pro Etage und Modul ist eine Kombination aus
vier unterschiedlich großen Wohnungen mit
1- bis 4-Zimmern vorgesehen, die durch ein au-
ßenliegendes Treppenhaus einschließlich Auf-
zug erschlossen sind. Diese Vierspänner-Lösung
sorgt für einen hohen Wohnflächenanteil an der
Geschossfläche. Segmente verschiedener Größe
können miteinander kombiniert werden, so dass
die Gebäudelänge an verschiedene Grundstücks-
längen angepasst werden kann. Die Größe der
Wohnungen beträgt je nach Zimmeranzahl ma-
ximal 40, 54, 74 und 82 m
2
. Das entspricht den
Flächengrenzen für förderfähigeWohnungen laut
Wohnungsneubauförderung 2015.
Bei der Ost-West-Variante des STADT-UND-LAND-
Typenhauses ist das Treppenhaus nach Westen
ausgerichtet und je zwei Wohnungen sind nach
Osten und Westen orientiert. Zusätzlich kann
hier ein sog. Schaltzimmer hinter dem Trep-
Ost-West-Gebäudetyp
mit verschiedenen
Wohnungsgrößen