DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 5/2017 - page 37

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nicht. Die Denkrichtung ist sozusagen ein „Smart
unter den Häusern“. Die Vorstellung ist nun, dass
zwölf dieser kleinen Häuser im Kreis angeordnet
werden und die Eingangsbereiche, die noch zu den
6,4 m
2
hinzukommen, als Gemeinschaftsfläche
genutzt werden. Dann hätte man die privaten
Bereiche als Co-Being-Einheiten und einen ge-
meinsamen Co-Living-Space.
Wen stellen Sie sich als Bewohner dieser
Co-Living-Spaces vor?
Das 100-€-Haus wäre für jeden eine Option, der
das Budget hat und demdie Fläche ausreicht. Hier
könnten sich also alle möglichen Schichten und
Menschen treffen. Wenn wir Berlin betrachten,
dann wären das zum Beispiel Menschen, die nur
für die Dauer eines Projektes in der Stadt sind,
ebensowie Studierende, Bundestagsabgeordnete
oder Lobbyisten. Im ländlichen Raum wären zum
Beispiel Ferienwohnungen darin denkbar oder
Wohnraum für Saisonarbeiter. Durch die zweite
Ebene ist das Modell momentan allerdings nicht
für Senioren geeignet.
Bisher existiert nur der Prototyp. Was soll in
Zukunft mit dem 100-€-Haus passieren?
Denkbar wäre eine Modulbauweise, bei der meh-
rere dieser Häuser nebeneinander gebaut werden.
Allerdings glaube ich nicht, dass das aktuell ge-
nehmigungsfähig wäre. Denn die Musterbauord-
nung und die Wohnflächenverordnung kennen so
etwas Kleines gar nicht. Wir brauchen also zu-
nächst eine gesellschaftliche Diskussion zu den
Fragen: Wollen wir das? Wie viel Wohnen können
wir uns leisten? Und sindwir bereit, unsere Regeln
den neuen Bedürfnissen und Erfordernissen anzu-
passen? Unser Tiny House soll ein Beitrag sein, um
diese Diskussion anzustoßen.
Können sich Interessierte das Haus
eventuell ansehen?
Das Haus habenwir jetzt der Tiny House University
übergeben. Seit dem 17. März 2017 wird es auf
dem Bauhaus Campus in Berlin zu sehen sein.
Das Interview führte Cathrin Christoph, Hamburg.
Weitere Informationen:
un
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Neubau und Sanierung
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Rechtssprechung
Haufe Gruppe
Markt undManagement
Stadtbauund Stadtentwicklung
Tiny Houses: Spielerei oder
Zukunft des Wohnens?
„Wir brauchen neue Ideen, wie man bezahlbaren Wohnraum schaffen
kann“ – so zitiert die taz in der Ausgabe vom 9. Dezember 2016 den Ar-
chitekten Van Bo Le-Mentzel. Mit dieser Meinung steht er nicht allein.
Doch seine Lösungen für das Problem sind spektakulär: Le-Mentzel hat
das One-Squaremeter-House entworfen und ist Begründer der „Tiny
House University“ – einem Denk-Kollektiv, das in Berlin-Kreuzberg
Ideen für viel Wohnraum auf wenig Fläche entwickelt.
Gibt es einen Makrt für Tiny Houses?
Auch die Wohnungswirtschaft ist auf Le-Mentzel aufmerksam gewor-
den – und nimmt seine Ideen ernst. So hat die Hilfswerk-Siedlung Ber-
lin ein Tiny House von 6,4 m
2
gesponsert (siehe Interview). Momentan
ist diese Form des Wohnens noch ein Gedankenexperiment. Aber wie
sieht es in Zukunft aus? Gibt es einen echten Markt für Tiny Houses?
Fakt ist: 75% der Deutschen leben in Städten. Bis zum Jahr 2050 wer-
den es laut UN sogar 83% sein. Insbesondere in den Metropolregionen
wird Wohnraum deshalb weiterhin ein gefragtes Gut bleiben.
In Berlin, Frankfurt am Main, München und Hamburg wächst die Zahl
der fertiggestellten Wohnungen bereits seit einigen Jahren. Doch
leider werden diese Wohnungen der Nachfrage in weiten Teilen nicht
gerecht. Beispiel Berlin: In der Hauptstadt werden rund 90% der neuen
Wohnungen von Projektentwicklern und privaten Bauherren erstellt.
Hieraus resultiert eine spezifische Struktur des Wohnungsneubaus:
So wurde 2015 mit 41,8% ein sehr großer Teil als Eigentumswoh-
nungen errichtet. Durch die Konzentration auf dieses Segment und
die attraktiven, teuren Lagen findet der größte Teil des Neubaus im
gehobenen und hochpreisigen Marktsegment statt. Auf der anderen
Seite ergibt sich das dynamische Bevölkerungswachstum Berlins zum
allergrößten Teil aus Zuzügen aus dem Ausland und aus der Gruppe der
20- bis 30-Jährigen; hierunter befinden sich sehr viele Studierende
KOMMENTAR
Bettina Harms
Geschäftsführung
Analyse & Konzepte
Hamburg
Quelle: Analyse & Konzepte
und Berufsanfänger mit geringem Einkommen. Unter den Zuzügen
befinden sich zwar auch Haushalte mit einem überdurchschnittlichen
Einkommen, der überwiegende Teil verfügt aber über eine eher ge-
ringe Wohnkaufkraft – und kann sich entsprechend die hochpreisigen
Eigentumswohnungen nicht leisten, die jetzt in den Szenevierteln
entstehen.
44% der Mieter würden kleinere Flächen in Kauf nehmen
Die meisten Menschen möchten nicht nur weiterhin in der Stadt, son-
dern möglichst nah am Zentrum wohnen. Hierfür nehmen sie durch-
aus geringere Quadratmeterzahlen in Kauf. Das tun sie auch, wenn sie
dadurch Geld sparen können: Laut „Servicemonitor Wohnen 2016“
wären 44% der deutschen Mieter bereit, auf Wohnfläche zu verzich-
ten, um weniger Miete zu zahlen. Nur 37% würden auf eine andere
Wohnlage ausweichen. Insofern entsprechen kleine Wohnungen mit
guter Zimmeraufteilung der Nachfrage besser als große, loftartige
Grundrisse. Das bedeutet: Gerade in den Metropolregionen müssen
in der Tat viel mehr kleine Wohnungen entstehen – zum Beispiel 1,5
Zimmer mit 35 m
2
oder drei Zimmer mit 60 m
2
.
Auch um die Wohnkostenbelastung im Neubau zu reduzieren, ist
die Verkleinerung der Wohnfläche bei klugen Grundrisslösungen ein
zukunftsweisender Weg.
Insofern passt die Denkrichtung der Tiny-Houses-Bewegung genau in
die Zeit. Sie zeigt, was möglich ist – ohne auf die geltenden Beschrän-
kungen oder Vorbehalte Rücksicht zu nehmen. Damit gibt sie wichtige
Impulse für den Wohnungsbau. Wie klein Wohnungen am Ende sein
können, um wirklich marktfähig zu sein, muss allerdings die Zeit
zeigen.
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