ENERGIE UND TECHNIK
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4|2017
Effizienzbetrachtung aus Sicht unterschiedlicher Stakeholder
Wirtschaftlichkeitsprobleme bei der Verschärfung
energetischer Standards
Im Jahr 2050 soll der Gebäudebestand nahezu klimaneutral sein, sagt die Bundesregierung. Dass
ab 2021 Wohnungsneubauten den Niedrigstenergiegebäudestandard erfüllen müssen, sagt die EU.
Um diese Ziele umzusetzen, werden gegenwärtig die EnEV reformiert und neue Leitplanken im Ordnungs-
recht definiert. Der folgende Beitrag zeigt, warum die Politik sich in diesem Prozess nicht, wie bislang
üblich, ausschließlich auf die gebäudespezifische Energieeffizienz fokussieren sollte.
Noch nie war die Wirtschaftlichkeit steigender
Energieeffizienz von Gebäuden in der allgemei-
nen Wahrnehmung so wichtig wie heute. In den
letzten zehn Jahren hat sich herauskristallisiert,
dass nicht die technischen Möglichkeiten der
Realisierung, sondern die Finanzierbarkeit und
Bezahlbarkeit die entscheidenden Engpässe der
Energiewende imGebäudesektor sind. Das ökono-
mische Grundgesetz einer zwingend notwendigen
Engpassorientierung jedes effizienten Planungs-
prozesses steht im krassen Gegensatz zu den bis-
herigen Strategien der Energiewende im Gebäu-
desektor. Hier wurde die Wirtschaftlichkeit nicht
als Ziel, sondern als Nebenbedingung formuliert
Prof. Dr. Andreas Pfnür
Lehrstuhl für Immobilienwirtschaft
und Baubetriebswirtschaftslehre
TU Darmstadt
Dr. Nikolas Müller
Lehrstuhl für Immobilienwirtschaft
und Baubetriebswirtschaftslehre
TU Darmstadt
Strategischer Nutzen für die Energiewende
Ziel ist ein effizienter Beitrag zur sektorübergreifenden Umsetzung der Energiewende
Objektbezogene
Bewertung
(technologischer Ansatz)
Ziel ist die Effizienz der
technischen Lösung auf
Gebäude-/Quartiersebene
Subjektbezogene
Bewertungen
(Perspektiven der Akteure
vor Ort)
Ziel ist die wirtschaftliche
Vorteilhaftigkeit aus der
Perspektive immobilien-
wirtschaftlicher Akteure
(Eigentümer/Nutzer/
Produzenten);
zusätzlich aus Nutzersicht
die Sicherstellung der
Behaglichkeit
Gesamtwirtschaftlich-
umweltpolitische
Bewertung
Ziel ist die effiziente
Vermeidung von
Treibhausgasen
(sofern die Bezahlbarkeit
des Klimaschutzes ein
Engpass ist)
ABB. 1: ALTERNATIVE BEWERTUNGSANSÄTZE
IN DER ENERGIE- UND KLIMAPOLITIK FÜR GEBÄUDE
und behandelt. So ist nach Maßgabe des § 5 Abs.
2 EnEG dieWirtschaftlichkeit Voraussetzung aller
ordnungsrechtlichen Anforderungen an Gebäude.
Damit das Wirtschaftlichkeitsgebot im Zuge der
kontinuierlichen Verschärfungen energetischer
Standards nicht flächendeckend außer Kraft ge-
setzt wird, prüft die Politik vor jeder Novelle bzw.
Reform die Möglichkeiten und Grenzen zukünf-
tiger Anforderungen. In den dafür angestellten
Gutachtenwird i. d. R. anhand von exemplarischen
Gebäuden geprüft, wie effizient weitere Verschär-
fungen sind. Dieser Ansatz ist aus ökonomischer
Sicht wenig effektiv. Das Ergebnis liegt auf der
Hand: Es ist nicht mehr zu leugnen, dass bisheri-
ge Ziele verfehlt wurden und der Sanierungsstau
allgegenwärtig ist.
Parallelen zum Automobilmarkt
Die aktuelle Situation weist Parallelen zur Situ-
ation der deutschen Automobilindustrie in den
1970er Jahren auf. Damals war es das Ziel der
deutschen Automobilindustrie, mit Hilfe der
höchsten Technologie die besten Autos der Welt
zu bauen. Man tat es, weil man es konnte, und
es wurde auch noch gefördert. Dann kam Toyota
auf den Markt und baute Autos, die im gleichen
Segment zu einemBruchteil des Preises verfügbar
waren. Auf den internationalen Automobilmärk-
ten, insbesondere in den USA, wurde das Nutzen-
Kosten-Verhältnis dieser Fahrzeuge weit höher be-
wertet als das der technologischen Spitzenklasse
aus Deutschland. Die von den Japanern verbaute
Technologie richtete sich nicht danach, was sie
konnten, sondern was Kundennutzen generierte,
ohne hohe Kosten zu verursachen und somit einen
Wertbeitrag zur Umsetzung eines strategischen
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